Silberschwester - 14
der Tür, eine verhüllte Gestalt stehen, ein Mann
wohl, und der fragte, mit seltsam akzentuierter Stimme: »Darf ich eintreten?«
Sie zögerte,
aber er schien allein und unbewaffnet zu sein. So bejahte sie denn, und er
folgte ihr in die Hütte und sah nur zu, wie sie die Tür wieder verriegelte.
»Ich heiße
Rushak«, sagte er, als er die Kapuze zurückwarf, und legte den Umhang ab. Karis
hatte das unbestimmte Gefühl, den Mann zu kennen – wusste aber, dass das nicht
sein konnte. Nur wenige Fremde kamen ins Weideland. Doch, er hatte irgendetwas
an sich …
Dann sah sie,
dass sein Blick auf den Kräutern ruhte, die auf der Bank ausgelegt waren.
»Bist du Heilerin?«,
fragte er mit sanfter Stimme.
»Lehrling«,
erwiderte sie, jäh an ihre Arbeit erinnert, »und ich muss mich wieder an die
Arbeit machen, bevor die Waldwurz ihre Wirkkraft verliert.«
»Aber gewiss
…«, gab er zur Antwort und nahm auf der anderen Bank Platz.
Sie entleerte
noch vier Knötchen in ihre Schüssel und rührte dann wieder sacht um, um alles
gründlich zu vermischen.
Als diese
Zugsalbe zu ihrer Zufriedenheit bereitet war, trug sie sie, löffelweise, direkt
auf die Wunde auf, verband den Huf mit reinen Gazebinden, sicherte wieder alles
mit Rupfen und Riemen und prüfte dann mit zwischen Riemen und Pferdefuß
gestecktem Finger, ob es nicht zu fest oder zu straff saß. »Schön«, brummte sie
dann, »das müsste helfen!«
Beim Aufräumen
konnte sie nicht umhin, sich über den Fremden Gedanken zu machen. Er schien
jung zu sein, nicht älter als etwa zwanzig, und war von zierlicher Gestalt,
strahlte aber Ruhe und Selbstvertrauen aus …
Als sie das
Bohnenkraut und die Zwiebeln für die Suppe klein schnitt, sah sie zu ihm
hinüber. Er saß auf der Bank, etwas weit vom Feuer – und er hatte keinen
Schatten. Sie wäre fast aufgesprungen, zwang sich aber, noch einmal hinzusehen.
Er hatte wirklich keinen Schatten! Und wie ihr noch der Gedanke an das reißende
Wesen kam, das letzthin hier gewütet hatte, stand er schon auf und kam näher.
Langsam kam er
auf sie zu – und langsam wich sie zurück. Sie gab sich nicht der Illusion hin,
ihn vielleicht überwältigen zu können. Mit der rechten Hand umklammerte sie den
Dolch an ihrem Gurt, der gut in den Falten ihres Rocks verborgen war. Mit der
Linken aber tastete sie in der Rocktasche fieberhaft nach dem Kruzifix ihrer
Mutter. Es war weg! Dafür klaffte da ein Loch in der Tasche.
Ach, da
musste es durchgefallen sein! Inzwischen konnte es überall sein.
Sie musterte
Rushak scharf. So aus der Nähe wirkte er älter als zuvor, eher Ende zwanzig.
Jetzt fing er ihren Blick ein, fixierte ihn stumm, gebieterisch, und kam,
während sie, wie hypnotisiert, in diese tiefen, blauen Augen starrte, langsam
und ohne Hast ständig näher. Nervös versuchte sie, den Bann zu brechen … und es
gelang ihr schließlich auch, indem sie die Augen schloss. Aber nun blieb er vor
ihr stehen und fasste sie unters Kinn.
»Sieh mich
an!«, befahl er, und sie spürte, wie ihr die Augen von allein aufgingen. Er
stand dicht vor ihr. Sein dunkles, schulterlanges Haar, an den Schläfen leicht
gelockt, war zum Pferdeschwanz gebunden, und über den durchdringenden blauen
Augen wölbten sich dicke, dunkle Brauen. Ihr war, als ob sie am Rand eines
tiefen stillen Teichs stand und wusste, dass es sie von einem Moment auf den
anderen in seine eisigen Tiefen ziehen könnte … Zitternd ließ sie es geschehen,
dass er ihr mit den Fingerspitzen vom Kinn den Kiefer hinauf bis unters Ohr
fuhr, ihr ganz ruhig das dicke kastanienbraune Haar aus dem Gesicht strich. Da
erschlaffte ihre Hand, der Dolch fiel zu Boden. Und der Atem ging ihr schwer
und rau, da sie sich mühte, sich aus seinem Bann zu lösen.
Das jähe
Wiehern ihrer Stute rief ihr in Erinnerung, was ihr im Leben lieb und teuer
war. Erst dachte sie daran, wie sie Mikel kennen gelernt hatte und wie stark
seine Hände gewesen waren, als er sie von dem Wagen gehoben hatte, wie gut er
zu Nebel war und sie mit Hand und Stimme beruhigte. Andere Erinnerungen, andere
Bilder, stiegen auf … Mikel, der, groß und dunkel gegen den roten Schein der
Esse, ein Hufeisen im Wasserbottich abschreckte; und Mikel, der bei der
Sonntagsmesse, den Kopf zum Gebet gebeugt … Wie sie dabei in Gedanken den
silbernen Fingerring drehte, ging es ihr auf! Das Kruzifix ihrer Mutter war
nicht das einzige geweihte Objekt, das sie besaß. Ihr Trauring war ja erst
einen Monat zuvor von Vater MacKellar
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