Silberschwester - 14
Raum, trieb welkes Laub vor sich her und teilte den Staub all
der Jahre wie ein Boot das Meer. Kellin beobachtete das Spiel des Windes – bis
ein metallisches Glänzen in einem wirren Laubhaufen im hintersten Winkel seinen
Blick auf sich zog …
Da ließ ihn
ein Geräusch erstarren … ein Laut, nur schwach vernehmlich, von etwas, das
gerade noch in Hörweite war. Er hielt den Atem an, horchte angestrengt. Über
das Heulen des Windes hin drang das Klirren von Zaumzeug in sein Ohr.
Jahrelanges Training und alter Instinkt ließen ihn da alle Schwächen des
Fleisches und Geistes vergessen … Im Nu lag das glatte, mit Leder umwickelte
Heft des Schwertes in seiner Hand, lehnte er mit dem Rücken an der Wand neben
der Tür. Während lange Momente vergingen, kam das Geräusch, wenn auch ab und an
vom Wind unterbrochen, näher, näher – bis es endlich vor der Tür angelangt zu
sein schien. Einen Atemzug lang Ruhe, dann erzitterte die Eichentür, ging
ächzend auf. Auf der Schwelle stand, an den verzogenen Türrahmen gelehnt, eine
dunkle Gestalt. Wie lauschend stand sie da.
Kellin zögerte
noch mit dem Angriff, wartete ab. Dann sprach eine Stimme zu ihm, ein sanftes
Flüstern tief in ihm. Und es sagte ihm, er habe von dem Fremden nichts zu
befürchten. So hielt er sein Schwert ruhig und rührte sich nicht.
Das Gesicht
des Fremden war im Licht seines niedergebrannten Feuers nicht auszumachen –
bloß seine Silhouette, als Dunkel gegen Dunkel … Und nach dieser Andeutung von
einem Umriss zu urteilen, trug er einen Umhang, die Kapuze tief ins Gesicht
gezogen. Da drehte er sich um, verschwand in dem Schneesturm – um kurz darauf
wieder zu erscheinen, nun mit einem großen, dunklen Pferd, das er sogleich
hereinführte. Und es war kaum drin, da ließ er den Zügel fallen, machte kehrt,
um die Tür wieder zuzusperren. Und erstarrte, als er gewahr wurde, dass da
jemand stand, griff an seine Seite, wo ein Schwert so silbern glänzte.
»Wer ist da?«,
hörte Kellin eine Frau fragen. Weich und sanft sprach sie, etwas singend auch,
die Wortenden betonend – ein Dialekt, der ihm nicht vertraut war.
Da trat er aus
dem Schatten der Tür und steckte demonstrativ sein Schwert ein. Und die Stimme
in ihm sprach mit der Ruhe, Beständigkeit eines Bergbachs: Gefahr gehe nicht
einher mit der da, ihr Begleiter sei ein stiller, wachsender Schmerz.
»Kellin, hohe
Frau«, stellte er sich sodann vor. »Sir Kellin Whrothwyn. Ritter von Burg
Shanizar. Du hast von mir nichts zu fürchten. Ich suchte hier bloß Schutz vor
dem Sturm. Mit Verlaub, es ist genug Platz für dich und dein Pferd! Leider kann
ich dir nichts zu essen anbieten.« Es war ja Brauch im Land Merzen, mit
Fremden, denen man den Frieden des Lagers anbot, Brot und Salz zu teilen … Kellin
konnte nicht einmal Reiserationen anbieten. Das kränkte seine Ehre so wie
seinen Stolz. Sein Pferd hatte er beim Durchqueren eines von enormen
Frühjahrsregen geschwollenen Stroms verloren: Eine Flutwelle hatte es
fortgerissen, und mit ihm seine gesamte Wegzehrung. Dass er, mit seiner
schweren Rüstung, da nicht ertrunken war, verdankte er nur seinem Glück und der
Gunst der Götter! Die Fremde zögerte, sein Angebot anzunehmen, sah sich, unter
der Kapuze hervor, erst nach ihrem Pferd und dann nach dem Sturm um, der draußen
heulte und tobte, und nickte nun knapp, kaum merklich. Doch ehe sie ihre Waffe
einsteckte, prüfte sie ihn und das Turmgemach kurz mit scharfem Blick: Sie nahm
ihn bei der Ehre … Ihr Leben hing an den wenigen förmlichen Worten, die er
gesprochen hatte.
»Darf ich
erfahren, wie du heißt?«, fragte er.
»Moija«, sagte
sie, mehr nicht – keine Titel, keine Angaben zu Herkunft, Haus. Kellin
wiederholte ihren Namen bei sich, prüfte ihn auf der Zunge. Ein Name aus ihrer
alten Sprache – aber nicht unkenntlich alt.
»Brauchst du
Hilfe mit deinem Pferd?«
»Nein«, war
alles, was sie sagte, und sie nahm bereits die Handgriffe vor. Zuerst lud sie
irgendein Bündel aus ihrer Satteltasche ab und ging damit zum armseligen Feuer.
Es war nicht zu sehen, was es war – aber einen Moment später tanzten die
Flammen schon mit neuer Kraft, zuckten lange Schatten von Mensch, Tier und
Gerümpel über die nackten Wände. Darauf kümmerte sie sich um ihr Pferd und gab
sich große Mühe für sein Wohlergehen, ehe sie sich ihr Lager bereitete.
»Prachtvolles
Tier …«, bemerkte Kellin. »Aus dem Condartal, nicht? Linie Daggnar?«
Sie hielt mit
der Suche inne, lange genug, um zu
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