Silberschwester - 14
verstört gewirkt hatte! Dieser Ort, oder
was er einst gewesen, war ihr Heimat gewesen.
»Tell’Sakera
war mit reichen Vorkommen an Erz gesegnet, das wir zu Waffen und Rüstungen
verarbeiteten.«
Kellin ging
ein Licht auf. Sakeraner Stahl! Sein Urahn hatte immer von diesem Material
geschwärmt, seiner Leichtheit und Härte und Zähigkeit. Auch wenn manche
gespottet hatten, das sei nur seniles Gerede. Selbst er, Kellin, hatte nicht
recht glauben wollen, dass die Waffen aus Sakeraner Stahl nur halb so viel
wogen und doch genauso scharf und fest und beständig waren wie die aus
gewöhnlichem Stahl.
»Diese Waffen
und Rüstungen gingen nach Scareshia hinab und wurden von dort mit Karawanen in
alle Teile des Königreichs verbracht und gut verkauft. Tell’Sakera und
Scareshia waren sozusagen Geschäftspartner. Aber diese Wildleute waren ein
argwöhnisches Volk, trauten keinem von außerhalb ihres Tals. Sogar uns, die wir
ihnen solchen Profit brachten, misstrauten sie«, sagte sie, tonlos, abwesend,
Erinnerungen nachhängend, sah dabei mit Augen, die nichts sahen, ins Feuer.
Wenn sie sprach, wurde sie bisweilen leiser und verstummte gar ganz, bis sie
sich seiner Anwesenheit wieder bewusst wurde und ihre Erzählung da wieder
aufnahm, wo sie sie abgebrochen hatte.
»Der Argwohn
der Wildleute verlor endlich jedes Maß. Hatten wir einst zivilisiert
kooperiert, sandten sie nun bewaffnete Eskorten zur Burg, diese Ware zu holen.
Eines Tages erschien ein Bote auf Tell’Sakera, mit einem geharnischten Brief
des Königs von Scareshia. Der bezichtigte uns des Bruchs unseres
Handelsvertrags, wonach Tell’Sakera alles, was es hatte, mit seinen Brüdern im
Tal teilen müsse. Aber wir, behauptete er, hielten einen Schatz vor ihnen
versteckt, ganz tief im Berg verborgen. Einen Schatz von lauter Gold und
Edelsteinen. Und er forderte die sofortige Herausgabe des Hortes, anderenfalls
er diese Burg mit aller Macht belagern und mit Gewalt nehmen werde.« Hier nun
verstummte sie wieder, aber dieses Mal, um ihre Tränen zu unterdrücken.
»Mein Vater«,
fuhr sie dann fort, »schrieb ihm zur Antwort: Wenn es diesen Schatz wirklich
gäbe, würden wir ihn gern mit ihnen teilen … Die Wildleute waren außer sich vor
Wut. Beim nächsten Morgengrauen stand ihre Armee unter den Mauern von
Tell’Sakera, waren wir ganz und gar eingeschlossen.« Wieder verstummte sie,
dass nur noch das Knistern des Feuers und das Heulen des Sturmes zu hören
waren. Plötzlich fielen im Kamin brennende Scheite zusammen, dass die Funken
stoben … Und es vergingen ein paar Minuten, bis Moija das Feuer geschürt und
versorgt hatte, sodass sie ihre Erzählung wieder aufnehmen konnte.
»Einen ganzen
Mond lang hielten wir diesen Angriffen stand. Aber wir waren nicht auf eine
solche Belagerung vorbereitet … Tell’Sakera war für gut ein Jahrhundert vom
Krieg verschont geblieben, und so waren wir, die alle Werkzeuge des Krieges
fertigten, für einen Krieg nicht gerüstet …« Ein karges Lächeln über die Ironie
des Schicksals verzog ihr die Mundwinkel. »Tell’Sakera fiel, aber nicht aus
Schwäche, vielmehr aus Mangel an Kampfwillen. Ach, die Wildleute töteten,
wessen sie habhaft wurden, und die Erde Tell’Sakeras färbte sich rot vor Blut.
Sie ließen nur eine einzige Menschenseele am Leben«, seufzte sie und biss sich
auf die bebenden Lippen, dass es ihn drängte, ihr die Hand auf die Hand zu
legen, um sie irgendwie zu trösten. Aber das, das wusste er, konnte nichts und
niemand. So ließ er sie sich ihrer Pein auf die einzig ihr mögliche Art
stellen: allein.
»Nur eine,
damit die sie zum Hort führe. Das tat ich denn … Ich führte sie zu dem einzigen
mir bekannten Schatz, der das Leben meines Volkes wert gewesen sein konnte«, sagte
sie und fuhr dann fort, als ob sie einem Freund, der das Gebiet gut kannte, den
Weg beschrieb:
»Den Gartenweg
entlang, zu dem großen Stein auf der Leeseite der hohen Eiche. Ich drehte den
Stein um und gab ihnen, was darunter lag. Sie lachten, als sie das Buch sahen,
und schlugen mich dann, als ich sagte, das sei der Schatz, nach dem sie
suchten. Ihr Hauptmann öffnete es und las laut daraus vor … und dann ließen sie
mich gehen.«
Kellin
zwinkerte heftig. »Sie ließen dich gehen? Nach all dem?« Da nickte Moija und
fuhr sich mit der behandschuhten Rechten über die Augen.
»Aber was
stand denn in dem Buch?«
»Es …«, begann
die Fremde und sprang auf. »Ich muss jetzt gehen. Ich muss es suchen.«
Kellin erhob
sich
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