Silberschwester - 14
Winter sie auf
den Bauch und schnitt ihr die Handfesseln durch.
Dann zog sie
dem Toten das Messer aus dem Gurt und legte es neben sie. »Wenn ich einen
Banditen getötet habe, schneidest du die Frau los.«
»Ich werde
auch Banditen töten«, erwiderte Aster wild.
Winter prüfte
ihre Miene, nickte dann.
Da hörte sie
einen Schrei so laut, von so nahe, dass er alles andere übertönte und ihr
beinahe die Ohren zerriss. Sie warf sich nach vorn, begrub Aster unter sich,
sodass sie von den anderen Schattenpaaren dort ums Feuer nicht zu unterscheiden
waren. Aber der schreckliche
Schrei schien die Räuber nicht aufhorchen zu lassen. Was war nun schon ein
Schrei mehr oder weniger?
Winter rannte
dahin, woher er gekommen war. Ein kahler Kerl stellte sich ihr, wie aus dem
Boden gewachsen, in den Weg. Sie wich zurück – der Bandit, der bei Rabin gekauert
hatte, war doch kahlköpfig gewesen! Sie hob den Stock, aber da gab ihr
Humpelbein unter ihr nach, und sie schlug der Länge lang hin.
Der Schuft
schlug neben ihr auf. Von seinem Gesicht über dem blonden Bart war bloß noch
rohes Fleisch und weißes Bein zu sehen. Wie brachte eine gefesselte Frau das
fertig?
Keine Frau.
Eine Wölfin.
Das Tier
sprang auf die Pfoten, das bluttriefende Maul weit aufgerissen, laut knurrend.
Winter hob den Stab – hätte aber wohl den rettenden Zauberspruch kaum mehr zu
Ende gebracht, so in Sprungweite der Wölfin!
Eine Wölfin
mitten unter den Gefangenen! War sie so wild vor Hunger, dass nicht einmal der
Anblick aberdutzender Bewaffneter sie abschrecken konnte? Das riesige schwarze
Raubtier schloss das Maul, stand reglos auf zerfetzten Kleidern, Fesseln und
beobachtete Winter mit unheimlich blauen Augen. Beobachtete sie wie die Wölfin,
die manchmal dort am Rand ihrer Lichtung erschien.
Sie sah zu dem
Schnitz von Vollmond auf, der über den Bäumen ragte. Ihre Sehschale hatte Rabin
mit wütendem Aufblick zum mondlosen Himmel gezeigt. Da musste sie daran denken,
welche Gestalt der Mondbann im Westen verlieh. An ihren Scherz, die
schwarzhaarige Rabin müsse ja einen Fremden zum Vater gehabt haben. An die
Reaktion ihrer Wildkatze auf Rabins Tochter.
Die Wölfin
hockte sich auf die Hinterpfoten. Da richtete Winter sich an ihrem Stab auf.
Der Schweiß rann ihr dick die Schläfen hinab. Die Hände zitterten ihr.
»Eleriasza«,
flüsterte sie und betete dabei zu Gott, dass die Wölfin sie verstünde, »Eleriasza,
kennst du mich? Kennst du Meliada?« Sie sprach da Rabins Wahren Namen aus und
auch den eigenen, den sie bloß Rabin gesagt hatte. Namen waren Macht. Sie
hoffte und betete, dass Rabin auch jetzt als Wölfin ihren Wahren Namen kannte.
Die Wölfin
verharrte reglos und musterte, beobachtete sie mit blassblauen Augen.
»Eleriasza«,
flüsterte Winter, »hilf mir.«
Da warf sich
das Tier mit einem lautlosen Satz auf den über einer gefesselten Frau kauernden
Schuft, durchbiss ihm die Kehle … Winter nahm die andere Richtung. Um die ihr
verbliebenen magischen Kräfte zu schonen, tötete sie nur mit dem Messer. Einige
der Frauen, die sie befreite, blieben schreiend oder weinend oder reglos
liegen, und andere nahmen sich die Dolche der Getöteten und halfen ihr bei dem
blutigen Werk. Und sie konnte nur hoffen, dass die übrigen Banditen, so
beschäftigt, wie sie waren, und bei dem ungewissen Licht nicht so rasch
bemerkten, wie viele ihrer Gefangenen schon ihrer Fesseln und Peiniger ledig
waren.
Da übertönten
ein Zischen und ein Schmerzensgeheul das Tosen des Feuers. Winter blickte sich
gehetzt um: Zehn Banditen in loser Reihe, die Bogen erhoben, legten gerade
wieder Pfeile auf. Und als sie zum Zauber ansetzte, ließen die ihre zweite
Salve los. Da endete Winters Lied, schlug ihr Stock zu. Und die Schützen fielen
in sich zusammen wie Marionetten, denen die Fäden gekappt wurden. Aber ihre
Pfeile vollendeten ihre Bahnen. Winter hörte Schreie und ein Geheul.
»Göttin!«,
rief sie und fuhr nach dem Wolfsgeheul herum.
»O Heilerin!«
Jemand packte sie am Arm. »Meine Schwester ist verwundet.«
Fast hätte sie
ihren Stab keulengleich geschwungen – da erst verstand sie besagte Worte.
Barsch riss sie sich los.
»Da könnten
noch welche am Leben sein!«, rief sie. »Ein paar von euch sollen sie suchen und
töten. Die anderen müssen mir helfen, die Verletzten zu versorgen …« Als die
Frau nickten, öffnete sie ihre Tasche mit Verbandszeug und Arzneien. »Säubert
und verbindet die Wunden, die keines unmittelbaren Heilzaubers
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