Silberschwester - 14
fiel die Tante ihr ins
Wort. »Ohne dich leben sie ja sogar ein wenig länger. Du hast nämlich noch
nicht wieder genug Kraft für deinen Heilzauber, liebe Nichte, du bist ja
bleicher als der Mond!« Und damit zeigte sie auf die Wölfin neben ihr. »Ich
dachte mir, du hättest Rabin vielleicht gern bei dir in der Hütte, damit du
sagen kannst, du hättest sie mit Wundfieber im Wald gefunden.«
»Woher weißt
du, dass das Rabin ist?«
Tante Distel
lächelte mild. »Als ich vor Jahren einmal, spät nachts, beim Heimweg von einer
Freundin an Rabins und Jägers Hütte vorbeikam, sah ich einen großen Wolf aus
ihrem Fenster springen. Die beiden besaßen keinen Hund, und ich wusste, dass
das, was ich sah, kein Hund war. Ja, dass ich es da mit einem deiner Zauber zu
tun hatte. Also hielt ich den Mund und erzählte niemandem etwas davon. «
»Das ist aber
kein Zauber von mir.«
Jetzt war es
an Tante Distel, erstaunt zu sein. »Wie ist das möglich!«
»Tante, weißt
du, ob Rabin fremdes Blut in ihren Adern hat?«
»Ihr Großvater
war Westler und hat seine Karawane verlassen, um eine Tjalverin zu heiraten.
Und er hatte schwarzes Haar, wie Rabin«, erzählte Distel und fragte dann
lachend: »Willst du etwa sagen, Ausländer seien wilde Tiere?«
Da musste doch
auch Winter lachen. »Nein!«, rief sie. »Aber im Westen verwandeln sich
Mondgebannte bei Vollmond in Wölfe.«
»Nun … morgens
war Rabin ja immer eine Frau«, sagte Distel und sah zum Himmel empor. »Die
Sterne verblassen schon. Aber bis die Sonne aufgeht, dauert es ja noch eine
Zeit. Und bald sind wir bei deiner Hütte.« Also richtete sie den Blick nach
vorn. »Schön, meine Nichte ist am Leben! Ich bin sicher die glücklichste Frau
in Tjalve, denn ich habe bei dem Überfall keine Verwandten verloren!«
Winter legte Rabin im hintersten
Winkel ihrer Hütte auf eine alte Decke. Spatz sollte beim Aufwachen ja keinen
Wolf neben sich vorfinden, und Distel deckte das arme Tier dann zu.
»Du musst hier
bleiben, Tante«, bat Winter. »Ich lasse nicht zu, dass du im Schlamm lebst, bis
deine Hütte wieder steht.«
»Nicht alle
Häuser sind ja niedergebrannt. Ich wohne solange bei einer Freundin. Außerdem,
du hast keinen Platz für einen weiteren Gast!«, sagte Distel und ließ sich von
ihr zum Wagen hinausbegleiten und umarmte sie dann, erstaunlich fest, und
verabschiedete sich mit den Worten: »Schau nur, dass du etwas schläfst, liebe
Nichte, du siehst doch aus, als ob du gleich umfallen würdest! Ich schaue heute
Nachmittag nach dir.«
Winter half
ihr auf den Sitz hinauf, sah ihr dann nach, bis sie mit dem Wagen im Wald
verschwand …
Rabins Tochter
schlief noch immer friedlich, als sie in die Hütte zurückkam. Jetzt machte sich
ihre Erschöpfung richtig bemerkbar, wie eine erdrückende Last. Sie streckte
sich vor ihrer Pritsche auf dem Boden aus. Aber sie schlief unruhig, durchlebte
das Schlachten noch einmal … Als sie aufwachte, taten ihr alle Muskeln weh.
Doch mit Hilfe ihres Stabs stand sie auf und humpelte zu Rabin hinüber.
So wie jetzt,
hatte sie sie seit sieben Jahren nicht mehr gesehen:
Rabin hatte
die Wolfsgestalt abgelegt und schlief ganz fest, ruhig, das lange schwarze Haar
über die Decke gebreitet. Ihr Gesicht war friedlich, aber zu dünn, zu blass.
Sie sah älter aus. Wie eine Erwachsene.
Sie atmete
gleichmäßig. Dennoch fühlte Winter ihr den Puls, mit den Fingerspitzen am Hals.
Da öffnete sie
die Augen. Und die füllten sich gleich so mit Furcht, dass Winter jäh die Hand
zurückzog.
»Spatz! Oh,
Winter, weißt du, ob meine Tochter noch lebt?«
»Sie ist
wohlauf«, sagte Winter und wandte sich jäh ab – sie existierte für Rabin wohl
gar nicht. »Sie schläft auf meiner Pritsche.«
Da hörte sie
Rabin mit dem leichten Gang einer ganz Gesunden durchs Zimmer eilen.
Wortlos trat
Winter vor die Hütte. Die Morgenluft war frisch an ihren nackten Armen. Sie setzte
sich, unweit des Gartens, auf einen flachen Stein. Auf ihren Ruf zeigte sich
Wildkater am Waldrand, kam auch gleich gelaufen, machte dann plötzlich kehrt
und flüchtete wie von Sinnen.
Hände
schlossen sich um ihre Schultern. Sie wartete, reglos. Sie fühlte sich, da auf
dem Stein, wie in die Luft geworfen, im freien Fall, wer weiß wohin.
»Spatz schläft
wieder«, hörte sie Rabin sagen und dann: »Oh, wie undankbar ich doch war. Ich
habe dir nicht einmal meinen Dank gesagt, gedankt dafür, dass du mich gerettet
hast und meine Tochter.«
Da blickte sie
über ihre
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