Silberschwester - 14
sie auch nicht, an welchem Ort die Banditen
waren. So erweiterte sie nun ihr Blickfeld. Da, die Kerle lagerten auf einer
üppigen Wiese am Ufer eines breiten Stromes, der wohl der Yarszyks war, der
einzige Fluss nahe Tjalve – aber wo an diesem Strom?
Nun fiel ihr
ein Felsen auf, auf dem ein Bandit Wache stand. Wie ein enormer, gebogener Fang
hing er übers Wasser, und an dieser eigenartigen Form erkannte sie ihn wieder –
dort war sie schon gewesen, auf ihrer Suche nach einer seltenen Blume für einen
Fruchtbarkeitstrank. Südlich von Tjalve lag diese Wiese, drei Stunden zu Fuß
waren es bis dorthin.
Irgendwo in
einem ihrer Zauberbücher war ein Spruch, der sie im Handumdrehen zu der Wiese
versetzen könnte. Leider hatte sie den nie gelernt; er machte ihr nämlich
Angst. Drei dicke Schwarten hatte sie, wovon eine in einem westlichen Dialekt
abgefasst war … Wo auf diesen aberhundert handbeschriebenen Seiten stand der
Zauberspruch, den sie benötigte? Sie hatte erst einmal damit zu tun gehabt,
zehn Jahre zuvor: Ihr Vater hatte sie alle beide, als sie beim Kräutersammeln
im Wald gedämpfte Schreie von Tjalve her hörten, heimversetzt, damit sie den
Dörflern gegen die Räuber helfen konnten. Der Zauber hatte ihn erschöpft, seine
Reaktionsfähigkeit verringert; aber er hatte keine Zeit zu verlieren gehabt.
Das hatte sie jetzt auch nicht.
Sie fand den
Spruch dann doch sehr schnell, pries sich also glücklich. Da legte sie das
Zauberbuch aufgeschlagen vor die Sehschale und trat beiseite. Schnell legte sie
einen dunklen Umhang an, der ihr weißes Haar und ihre helle Haut verbarg, und
band sich ein Täschchen mit Verbandmaterial und Arzneien an den Dolchgürtel.
Und als sie gleich drauf wieder vor der Schüssel stand, entsprach die ihrer
größten Sorge und zeigte ihr Rabin … Neben Rabin sah sie einen kahlen,
blondbärtigen Banditen kauern – der eine Locke ihres kohlschwarzen Haars
zwischen den Fingern rieb.
Da hätte sie
sich fast an Rabins Seite versetzt – doch wenn sie nun mitten unter den Kerlen
erschien, könnten auch ihre Magie und Zauberkunst sie nicht vor sofortigem Tod
oder Gefangenschaft bewahren!
Mit einer
schmerzlichen Anstrengung rief sie das Spiegelbild von besagtem Felsen wieder
auf, hob dann ihren Stock und las halblaut aus ihrem Zauberbuch ab …
Da fand sie
sich bei dem Stein wieder! Betäubt von dem jähen Ortswechsel und durch den
Zauber ausgelaugt, lehnte sie sich an den rauen Granit. Sie dankte der Mondfrau
Szethra dafür, dass sie sich nicht aus Unerfahrenheit in den Fels projiziert
hatte – denn dann wäre sie gestorben und der Fels geborsten, dass er hundert
Hektar Wald zu Kleinholz gemacht und Banditen wie Gefangene zerschmettert
hätte.
Also sah sie nach
oben, murmelte rasch einen Zauber und wies mit dem Stab auf den Wächter – und
schon fiel er herab, ganz lautlos, bis auf das Aufklatschen auf dem Wasser des
Stroms. Ob seine Kameraden es auch gehört hatten? Winter drehte sich schnell
um.
Ungefähr zwanzig
Banditen saßen schmausend und zechend am Feuer; die übrigen gingen zwischen den
Gefangenen auf und ab. Wilde Schreie übertönten das Tosen des Feuers.
Die Kerle in
Schlaf zu zaubern, ging leider nicht, denn der Zauber wirkte, wie die
Heilmagie, nur mit Handauflegen. Dann kannte sie noch einen Todeszauber, der
alle Banditen töten würde – und alle Gefangenen. Dieser Zauber unterschied
nicht zwischen Ungerechten und Gerechten.
Sie musste sie
also einen nach dem anderen töten.
Auf die am
lodernden Feuer hockenden Banditen konzentriert, murmelte sie denn einen Spruch
und schwang ihren Stock wie ein Schwert. Der gab zwar keine Blitze oder
Farbenspiele von sich … richtete aber ein größeres Blutbad an als jede Axt. Und
so sanken nun zwanzig kopflose Leichen zu Boden.
Als sie dann,
vor Erschöpfung hinkend, zum Feuer lief, wäre sie noch um ein Haar über so
einen Typen gestolpert, der auf einer hilflosen, an den Händen gefesselten
Entführten lag und über ihre Schreie und verzweifelte Abwehr nur lachte. So
stieß Winter ihm ihren Stab durch die Kehle, riss ihn von der Frau herunter und
murmelte dazu rasch einen Fluch. Dann ließ sie den Kerl zu Boden fallen. Er
sank hin und rührte sich nicht mehr. An seinem Hals war keine Wunde zu sehen,
aber die Luftröhre und das Rückgrat waren durchschlagen.
Die gerettete
Gefangene – es war Aster, die Frau des Müllers –verstummte und starrte zu ihr
auf. Winter zog ihr Messer. Aster riss die Augen auf. Da drehte
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