Silberstern Sternentaenzers Sohn 07 - Das magische Amulett
Sekunde tauchte vor ihrem inneren Auge ganz plötzlich das traurige Gesicht von Sabeth auf. Annit seufzte. Jetzt habe ich diese neue Gabe, aber im Grunde immer noch keine Ahnung, wie ich damit um gehen soll. Wen soll ich denn fragen, wenn was schiefgeht? Ich kann erst abreisen, wenn ich ganz sicher die Kontrolle über das Amulett habe. Nicht dass es mir wie diesem Muammar geht, der nicht damit umgehen konnte.
Der Stammesfürst stellte sein Glas ab und legte die Hände in seinen Schoß. „Du bleibst also noch bei uns?“, hakte er nach, als habe er ihre Gedanken gelesen.
Annit nickte. Erst ganz leicht, dann heftiger und entschlossener. Ich bleibe. Ich werde bleiben. Ich muss. Vorerst. Nur hier kann ich die Kontrolle über meine Gabe erlernen. Und dann, dann werde ich weggehen. Nach Hause. „Ja, ich bleibe“, erklärte sie schließlich mit fester Stimme.
Ein sanftes Lächeln huschte über das Gesicht des Stammesfürsten. „Das ist gut so“, meinte er. „Du bist eine von uns. Du hast das Herz einer Beduinin.“
Annit schmunzelte. Genau das hatte Alisha am Morgen auch zu ihr gesagt. Genau das Gleiche. Annit zog die Beine an, umfasste sie mit ihren Armen und wippte vor und zurück. Dabei durchströmte sie ein wohliges Gefühl. Annit war zufrieden. Die Situation war nicht einfach, dennoch war sie überzeugt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Ich glaub, ich könnte es auch gar nicht mehr, überlegte sie. Ein ganz normales Leben führen! Aufstehen, Schule, Mittagessen, Hausaufgaben, das Leben in Deutschland - das alles kam Annit inzwischen so fremd vor wie anderen vermutlich das Beduinenleben.
Doch irgendwann kehre ich zurück. Bald wird meine Reise ein Ende haben, dachte sie weiter. Denn ich habe die Ant worten gefunden, die ich gesucht habe. Ich habe meine leiblichen Eltern aufgespürt, ich habe sogar zur Versöhnung der ganzen Familie beigetragen. Ich weiß, dass sie mich lieb haben und mich weggeben mussten, weil es damals einfach nicht anders ging. Und ich habe so viele Rätsel um unsere magischen Pferde gelöst.
Auch ohne in seine Richtung zu sehen, spürte Annit, dass die Augen des Stammesfürsten auf ihr ruhten. Ohne seinen Blick zu erwidern, lächelte sie leicht. Er ist wie ein Freund für mich geworden. Fast, ein kleines bisschen schon wie ein Vater. Kaum zu glauben, dass ich ihn bei unseren ersten Begegnungen total unheimlich fand.
Annit stieß einen tiefen Seufzer aus Ja, es ist die richtige Entscheidung, hier bei den Beni Sharqi zu bleiben. Zumindest so lange, bis ich meine neue Gabe kontrollieren kann.
Barissa tauchte aus dem hinteren Zeltteil auf und brachte eine Schale mit frischen Datteln.
Freudig griff Annit nach der süßen Wüstenfrucht. Mit einem schelmischen Grinsen hielt sie dem Stammesfürsten eine Dattel vor die Nase. „Die sind ein Grund mehr, hierzubleiben. So leckere Datteln gibt’s bei uns nämlich nicht!“
Der Beduine sagte nichts, bedachte sie wieder nur mit einem wohlwollenden Blick.
„Annit, da bist du ja!“ Yussuf stand im Zelteingang und schnaufte wie eine Lokomotive. „Ich hab dich schon überall gesucht.“
„Hier bin ich.“ Annit reichte ihm einen Dattelzweig. „Magst du?“
Yussuf schüttelte den Kopf und kramte in seinem Umhang. „Ich wollte dir nur was bringen. Wo hab ich den jetzt hin?“
„Was wolltest du mir denn bringen?“, schmatzte Annit und genoss jeden Biss der süßen Frucht. „Du weißt ja gar nicht, was du dir entgehen lässt! Die Datteln schmecken soooo köstlich!“
„Hier.“ Yussuf holte einen zerknitterten Briefumschlag hervor. „Heute ist doch Posttag, und der war für dich dabei.“
„Uiii!“, freute sich Annit und griff nach dem Brief. „Der ist bestimmt aus Dedeli? Von meinen Eltern.“ Sie zwinkerte dem Stammesfürsten zu. „Bestimmt gute Nachrichten! Vielleicht haben sie sich jetzt auch mit der Mutter meiner Mutter versöhnt. Gib her!“
Annit erhob sich und schnappte sich den Umschlag, mit dem Yussuf vor ihrer Nase herumwedelte. Ohne auch nur einen einzigen Blick darauf zu werfen, steckte sie ihn in die Tasche ihres Gewandes. „Den les ich heute Abend in aller Ruhe“, verkündete sie munter. „Aber jetzt will ich erst mal Alisha bei der Küchenarbeit helfen.“
Damit verließ sie das Zelt des Stammesfürsten und begab sich gut gelaunt und von einem Bein auf das andere hopsend zu ihrem Zelt.
Was Annit nicht ahnen konnte, war, dass der Brief schlechte Nachrichten enthielt....
-ENDE BAND 7 -
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