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Silbertod

Silbertod

Titel: Silbertod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F E Higgins
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Menschen Dinge, von denen er nicht einmal selbst weiß und die auf diese Weise sogar die Zukunft aufzeigen können.«
    Bei dem bloßen Gedanken blieb den Damen vor Bewunderung und Ehrfurcht die Luft weg. Verstohlen machte sich jede daran, ihren Kopf abzutasten, doch so, dass es aussah, als wollte sie Locken oder Haarnadeln in Ordnung bringen. Zweifellos fragten sie sich, wie tief genau Aluph forschen würde, denn jede wurde sich plötzlich ihrer kleinen – und nicht so kleinen – Geheimnisse bewusst.
    »Nun denn, Mrs Ecclestope«, sagte Aluph, und in seiner Miene drückte sich Ernst und aufrichtige Anteilnahme aus. »Seid Ihr also, da ich Euch vor den möglichen Konsequenzengewarnt habe, immer noch bereit, Euch auf meine Untersuchung einzulassen?«
    Mrs Ecclestope lachte nervös und sah ihre Freundinnen an. Die lächelten und nickten lebhaft mit den Köpfen. Von solch offener Ermutigung bestärkt, beugte sich die Dame des Hauses ein wenig vor.
    »Mr Buncombe«, sagte sie, wobei sie leicht seinen Arm berührte, »da wir nun gegen Ende des Vormittags schon so gut miteinander bekannt geworden sind, darf ich Euch wohl bitten, mich Cynthia zu nennen. Und ich bin bereit, ja.«
    »Ausgezeichnet, Mrs … äh, Cynthia«, sagte Aluph. »Dann wollen wir keine Zeit mehr verlieren. Bitte entspannt Euch und macht es Euch bequem.«
    Aluph trat an den Tisch, auf den er seine Arzttasche gestellt hatte, und öffnete sie. Er griff hinein und zog einen großen Tastzirkel aus Messing heraus. Er war spiegelblank poliert, funkelte im Licht und sah ziemlich bedrohlich aus. Ein ängstliches »Oh!« klang durch das Zimmer.
    »Bitte, meine Damen«, beruhigte er sie mit erhobener Hand. »Keine Angst! Wie bei so vielen Dingen im Leben gilt auch für dieses Instrument: Hunde, die bellen, beißen nicht.«
    Auf den Gesichtern der Damen zeichnete sich Ratlosigkeit über diesen Vergleich ab, und Aluph erklärte ihn eilig.
    »Obwohl es einigermaßen brutal aussieht, ist es weiter nichts als ein einfaches Messgerät, das mir als Hilfsmittel bei meiner Schädelanalyse dient.«
    Er stellte sich hinter Cynthia, die kerzengerade und mit fest geschlossenen Augen im Sessel saß. Mit den Händen umklammerte sie so fest die Seitenlehnen, dass ihre Fingerknöchel weiß wurden. Aluph platzierte nun den Zirkel vorsichtig auf ihrem Kopf, stellte immer wieder neue Abstände ein und brachte die nächsten Minuten damit zu, den Kopf aus vielen unterschiedlichen Winkeln zu vermessen: von hinten nach vorn, vom Kinn bis zum Scheitel, um die Seiten herum, von Ohr zu Ohr, vom Nacken bis zum Scheitel – und, um Eindruck zu machen, noch einiges mehr. Aluph gehörte zu den entschiedenen Befürwortern der Theorie, dass man den Leuten geben sollte, wonach sie verlangten. Er schrieb jede seiner Messungen sorgfältig in sein Notizbuch und begleitete die eine oder andere Eintragung mit gemurmelten Bemerkungen wie »Aha!« oder »Ohoo!«, auch »Hmm« oder »Aaah, ja«, bis die ängstlich angespannte Verfassung seiner Zuhörerinnen den Höhepunkt erreicht hatte.
    Nachdem alle Messungen abgeschlossen waren, verstaute Aluph den Tastzirkel wieder in seiner Tasche und die Damen dankten ihm mit freundlichem Applaus.
    »War das alles?«, fragte Cynthia aufgeregt.
    »Oh nein«, sagte Aluph lächelnd. »Wir haben ja erst begonnen.« Und er streckte die Hände aus, ließ die Knöchel knacken und legte die gespreizten Finger um Cynthias Schädel. Staunend beobachteten die Damen, wie er seine gepflegten Finger langsam über ihren Kopf bewegte. Dabei stand er sehr aufrecht mit leicht nach hinten geneigtem Kopf und geschlossenen Augen. Seine Lippen bewegten sich wortlos. Er arbeitete sehr gründlich, betastete jeden Zentimeter ihres parfümierten Kopfs und brachte es dennoch fertig, ihre beängstigend hoch aufgetürmte Frisur nicht durcheinanderzubringen. Schließlich nahm Aluph die Hände weg, trat zurück und lockerte seine Schultern. Dann kam er um den Sessel herum und wandte sich an sein Publikum.
    »Die Untersuchung ist abgeschlossen«, verkündete er, und alle Damen klatschten begeistert und warteten gespannt auf seine Ergebnisse. Aluph rollte einen großen Bogen Papier auseinander und befestigte ihn an der Wand hinter sich. Auf der Schautafel waren vier Ansichten eines haarlosen menschlichen Kopfes abgebildet, die linke und rechte Seite, der Hinterkopf und die Schädeldecke. Die einzelnen Ansichten waren in mehrere unregelmäßige Felder unterteilt und diese wiederum mit je einem

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