Silence
Ermano, der bisher nur an seinem Burger herumgeknabbert hatte, schob seinen Teller zu mir und nippte an seiner Cola.
Ich schluckte einen Bissen herunter.
»Naja, du und Giovanni, ihr scheint so etwas wie einen Schutzschild zu haben. Wenn ich in eurer Nähe bin, dann herrscht Ruhe in meinem Kopf. Und Eure Gedanken kann ich nur lesen, wenn ihr das wollt.«
»Das ist nichts weiter als ein bisschen Übung und das hier.«
Ermano fischte einen kleinen ledernen Beutel aus seinem Sweater, der mich sehr an den erinnerte, den ich in Mrs. Walshs Gedanken gesehen hatte. War es das, was sie mir zeigen wollte? Aber das würde bedeuten, dass sie auch wusste, dass ich diese Fähigkeit hatte. Mittlerweile wunderte mich gar nichts mehr, denn, wie Ermano und Giovanni eindeutig bewiesen, war meine besondere Gabe gar nicht so besonders. Ich fragte mich nur, warum dann jeder ein solches Geheimnis daraus machte?
»Was ist das?«
»Eisenhut. Es blockiert die Energiewellen um uns herum. Solange ich das trage, funktioniert der Schutzschild und ich kann Gedanken nur noch hören, wenn ich mich auf eine Person konzentriere. Eine wahre Erleic hterung. Und wenn du in meiner Nähe bist, trittst du sozusagen mit unter den Schirm.« Ermano ließ den Beutel wieder unter seinen Pullover gleiten und zog einen zweiten aus der Brusttasche seiner Lederjacke. »Hier. Das Zeug riecht zwar nicht besonders, aber es hilft. Ich mische immer etwas Lavendel darunter, damit es nicht ganz so unangenehm duftet.«
»Danke.« Ich schnupperte an dem Wildlederbeutel und fand den würzigen Geruch gar nicht so schlimm. Er erinnerte mich sogar an den Duft von Giovannis Lederjacke.
»Stimmt«, sagte Ermano und grinste breit.
»Was stimmt?«
»Giovannis Jacke. Es ist im Futter eingenäht. Sozusagen eine doppelte Absicherung.«
»In deiner auch?« Ermano trug seine Jacke noch immer. Mir war aufgefallen, dass beide Italiener, sich fast nie von ihnen trennten. Ich hatte angenommen, das sei eine Frage des Prestiges.
»Ja, auch in meiner. Aber für uns hat Eisenhut noch einen viel wichtigeren Grund.« Ich wartete, ob er mir verraten würde, was für einen Grund, aber er schwieg.
Das kleine Säckchen landete in meinem Mantel, der über der Lehne meines Stuhles hing.
»Du musst es schon am Körper tragen. Sonst bringt es nichts. Ich weiß, modisch nicht besonders toll, dafür besser als eine Medikamentenvergiftung.« Ermano zwinkerte mir wissend zu.
»Ich werd es modisch etwas aufpeppen.« Ich vertilgte auch noch Ermanos Burger.
»Seit wann wisst ihr zwei, dass ich anders bin?«
Ermano knabberte an einer Fritte. »Hmm. Erst waren wir uns nicht sicher. Doch dann hast du ein paar Mal versucht, in uns zu lesen.«
Ich nickte.
Ermano winkte die Kellnerin heran. Ich schob ihm einen Geldschein über den Tisch und er schob ihn wieder zurück.
»Ich bezahle.«
»Getrennte Kasse. Das hier ist kein Date«, widersprach ich.
Ermano nahm meine Hand zwischen seine und grinste breit. »Liebste Lissianna, würdest du mir die Ehre erweisen, den heutigen Abend als Date zu akzeptieren?«
Ich schnappte nach Luft wie ein Fisch.
»Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist. Dates mit Viscontis enden meist damit, dass ich nicht mehr mit ihnen spreche«, erinnerte ich Ermano.
Bitte , hallte es durch meinen Kopf.
»Okay«, sagte ich unsicher. »Aber nur, wenn du mich nicht mehr Lissianna nennst.«
Wir standen jetzt schon eine Weile vor dem Diner. Keiner konnte sich dazu durchringen, nach Hause zu gehen. Ermano lehnte an der Wand neben der Eingangstür und ich stand ihm gegenüber. Da ich vor Nervosität nicht wusste, was ich mit meinen Händen anstellen sollte, hatte ich sie in meinen Manteltaschen vergraben. Ich scharrte mit meinen Füßen im Kies, der hier für die parkenden Autos aufgeschüttet worden war. Mein Magen krampfte und ich war mir nicht sicher, ob das an der ausgiebigen Mahlzeit lag oder an Ermanos Nähe. Eigen tlich wollte ich in Ermano nur einen Freund sehen. Keinesfalls sollte er den Ersatzmann für seinen Bruder spielen, der sich auf der Party ins Abseits geschossen hatte. Trotzdem konnte ich nicht leugnen, dass ich auch in seiner Nähe ein leichtes Flattern im Magen verspürte.
»Das war ein schöner Abend«, flüsterte Ermano und beobachtete meine Füße dabei, wie sie Spuren in den Kies zogen.
»Hmmh«, machte ich.
»Ich würde dich ja nach Hause begleiten, so wie es sich gehört für ein erstes Date, aber ich bezweifle, dass das eine gute Idee
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