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Silence

Silence

Titel: Silence Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Savannah Davis
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verschlossenen Raum, und doch war der Himmel über mir klar und blau wie im Sommer. Mir war bewusst, dass das, was ich sah, unmöglich real sein konnte. Es fühlte sich aber echt an, als ich mich bückte und meine Finger durch das Meer aus weichen kühlen Blüten gleiten ließ.
    Ein paar Meter vor mir stand Giovanni unter den Bäumen, die das Rosenfeld umsäumten. Er stand gerade nah genug, damit ich ihn erkennen konnte, aber zu weit entfernt, um in seinem Gesicht lesen zu können. Bewegungslos lehnte er an einem Baumstamm, seinen Blick auf mich gerichtet. In einem Augenzwinkern stand er vor mir, in seiner ausgestreckten Hand eine weiße Rose. Warum weiß? Sollte das ein Friedensangebot sein? Ich schüttelte den Kopf, drängte mich mit Gewalt heraus aus dieser Vision, zurück in den Klassenraum.
    Giovanni drehte sich lächelnd auf seinem Stuhl zu mir um und für einen kurzen Moment fühlte es sich so an, als würde eine warme Hand zärtlich über meine Wange streicheln.
    Mit geschlossenen Augen stellte ich mir vor, wie ich Giovanni ein Glas roten Traubensaft über sein weißes Hemd kippte, und von Giovanni kam eine eindeutige Reaktion darauf; er lachte und in meinem Kopf nahm das durchsichtige Rot des Saftes ein Rubinrot an, bildete einen großen Fleck auf Giovannis Brust. Fassungslos beobachtete ich, wie sich das Bild, das ich heraufbeschworen hatte, immer mehr veränderte, und ich wusste, die Flüssigkeit auf Giovannis Brust war kein Saft mehr, es war Blut.
    Mit aller Kraft riss ich die Augen auf und schüttelte den Kopf, vertrieb das Bild mit Gewalt aus meinen Gedanken. Als ich wieder aufblickte, hatte Giovanni sich nach vorn gedreht, als wäre das eben nicht geschehen.
    Aber es war geschehen. Und es war nicht normal. Giovanni hatte mir Bilder in den Kopf gesandt und er hatte meine Bilder empfangen und darauf reagiert. Ich war nicht die Einzige mit dieser Fähigkeit. Auch Giovanni konnte Gedankenlesen. Und er war darin weit geübter, als ich es war.
    Für den Rest des Schultages vermied ich es, Giovanni auch nur anzusehen. Mehrmals wartete er auf mich zum Ende einer Unterrichtsstunde. Aber weder war ich bereit, mit ihm über Michelle zu reden, noch darüber, dass er in meinem Kopf gewesen war. Und schon gar nicht wusste ich, was ich davon halten sollte, dass er eindeutig das Geschehen gesteuert hatte. Also senkte ich immer den Blick, wenn er in meine Nähe kam, und lief, so schnell es meine Würde zuließ, an ihm vorbei.
    In der letzten Stunde hatten wir Biologie und damit endete meine wilde Flucht vor den Brüdern, denn Mr. Carter bestand darauf, dass wir während jeder seiner Stunden bei ihm genau die Sitzordnung einhielten wie zu Beginn des Schuljahres. Was für mich bedeutete, dass ich in jeder Biologiestunde neben Ermano sitzen würde.
    Ich wusste, dass Ermano nicht schuld an den Fehlern seines Bruders war – er hatte mich sogar vor Giovanni gewarnt -, aber trotzdem konnte ich nicht über meinen Schatten hinweg springen und ihm auch nur in die Augen sehen.
    Vor Unterrichtsbeginn unterhielt ich mich angeregt mit Larissa und ließ Ermano keine Chance mich anzusprechen, was Larissa natürlich nicht entging. Sie zuckte mit ihren schmalen, gebogenen Augenbrauen in Richtung Italiener und ich schüttelte zaghaft den Kopf.
    Ermano, der uns bei unseren Verrenkungen beobachtete, entging unser stummes Streitgespräch nicht. Er neigte sich über Larissas Tisch und flüsterte ihr etwas ins Ohr, was ich in Larissas Gedanken lesen konnte: »Mit etwas Glück spricht sie wieder mit mir vor Ende des Schuljahres.«
    Ich spielte die Unwissende und wandte mich Mr. Carter zu, der in diesem Augenblick den Raum betrat und den Wagen mit dem in die Tage gekommenen TV-Gerät vor sich her schob, welches wir am heutigen Tag schon einmal gesehen hatten. Thema der Stunde war: Fortpflanzung bei Säugetieren.
    Dieses Thema teilte die Klasse in zwei Lager; die einen – meist männlich – grölten belustigt. Die anderen – eher weiblich – rollten beschämt die Augen.
    Mr. Carter kniff die sowieso schon schmalen Lippen zusammen, knallte ein Buch geräuschvoll auf seinen Schreibtisch und blickte erzürnt in die Klasse. »Wir möchten doch annehmen, dass wir alle erwachsen genug sind, um dieses Thema mit der entsprechenden Ernsthaftigkeit behandeln zu können.« Ohne ein weiteres Wort verdunkelte er das Zimmer mit einem Druck auf eine Fernbedienung; die schweren schwarzen Vorhänge verschlossen sich automatisch mit einem leisen Surren. Ich

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