Silence
Hütten zu bauen. Unsere Kinder werden hier geschützt aufwachsen können. Wir sind jetzt einundvierzig, bald werden wir unsere Familien nachholen können.
Das Buch musste eine Art Tagebuch aus der Gründerzeit von Silence sein. Kein Wunder, dass mein Vater es behütete wie einen Schatz. Es birgt die ersten Tage unserer Vorfahren. Irgendwann einmal würde ich es gerne ganz lesen wollen, aber jetzt hatte ich dazu keine Zeit. So interessant der Inhalt dieses Buches auch sein mochte, jetzt gerade half es mir gar nicht weiter. Enttäuscht gestand ich mir ein, dass meine Suche ergebnislos geblieben war. Ich legte das Buch zurück in den Tresor und nahm mir fest vor, es bald zu lesen. Auch wenn ich sonst keine Streberin war, näher an eine längst vergangene Zeit, würde ich wahrscheinlich niemals kommen.
13. Kapitel
Mrs. Walsh bedankte sich am nächsten Schultag ausgiebig bei mir für meinen kleinen Auftritt und lobte di esen in den höchsten Tönen vor der gesamten Klasse. Sie fragte nicht nach, warum ich im Anschluss einfach verschwunden war, sondern tätschelte mir stattdessen den Kopf. Ich wäre am liebsten im Boden versunken.
Von Ermano vor mir kam ein: Es tut mir leid, was gestern passiert ist.
Giovanni grinste nur frech wie immer, sah dabei auch genauso unverschämt gut aus wie immer. Ich beschloss, den Brüdern noch mal zu verzeihen, wie es aussah, hatte ich mich wohl nicht blamiert, warum also weiter schmollen?
Mrs. Walsh las weiter aus Romeo und Julia vor und setzte ihre Wanderung durch die Klasse vom ersten Schultag fort. Hin und wieder musste einer meiner Mitschüler ein paar Sätze lesen.
Ich starrte verträumt auf eines der Fenster und beobachtete, wie das Regenwasser in kleinen Rinnsalen an der Scheibe herunterlief. Zwei besonders große Tropfen bahnten sich gerade ihren Weg nach unten und ich platzierte meine Wette auf den Schnelleren der beiden, als Michelle wie vom Pferd getreten aufsprang und aus dem Klassenzimmer lief.
Ich blickte ihr kurz nach und freute mich über die etwas abfälligen Bemerkungen einiger Cheerleader, bevor ich mich wieder meinen Wassertropfen widmete, um gerade noch zu sehen, dass ich mein Geld auf den Falschen gesetzt hatte. Meinem Wassertropfenpferd war auf halbem Weg die Puste ausgegangen.
In den letzten Tagen konnte ich eine befriedigende Änderung beobachten, was Michelles Beliebtheit betraf. Leider war mir entgangen, was zu diesem Absturz geführt hatte. Aber Michelle saß oft abseits ihrer Freundinnen und diese tuschelten darüber, dass Michelle wohl beschlossen hatte, verrückt zu werden.
Seit ich das Eisenhut bei mir trug, konnte ich Gedanken nur noch dann lesen, wenn ich mich auf eine bestimmte Person konzentrierte. Da mich nicht interessierte, was in den Köpfen von Michelles Freundinnen vorging, hatte ich auch nicht mitbekommen, was passiert war. Ich war noch nie sonderlich neugierig, also forschte ich auch jetzt nicht danach. Die Wahrscheinlichkeit war hoch, dass es sich um albernen Cheerleaderkram handelte.
Nach einigen Minuten steckte Mrs. Walsh den Kopf durch die Tür nach draußen, kam dann wieder ins Klassenzimmer und geradewegs auf mich zu. So wie es aussah, war ich ihre neue Lieblingsschülerin. Sie neigte sich zu mir hinunter und flüsterte: »Sieh doch bitte mal nach, was mit Michelle ist.«
Ich schnappte hörbar nach Luft und wollte protestieren, überlegte aber, dass Michelle es nicht wert wäre, meine hart erarbeiteten Extrapunkte auf dem Walsh-Konto zu gefährden. Also stand ich auf und machte mich auf die Suche nach meiner Erznemesis.
Ich fand Michelle zusammengekauert in einer Ecke des Mädchenwaschraums. Fast hätte ich etwas Mitleid mit ihr bekommen. Wie sie so da hockte, wie ein Häufchen Elend, aber eben nur fast. Ich blieb im Eingang zum Waschraum stehen und murmelte: »Alles in Ordnung mit dir?«
Ich weiß angesichts der Szene, die sich mir bot, eine überflüssige Frage, aber was hätte ich sagen sollen? Tut mir leid. Du bist zwar ein Miststück, aber egal, vergessen wir unsere Differenzen? Vergessen wir, dass ich den Tod deiner besten Freundin verursacht habe? Kann ich dir irgendwie helfen?
»Das hast du nicht«, murmelte Michelle kaum hörbar in ihre Knie.
»Das habe ich nicht?« Ich war so entrüstet, dass ich erst gar nicht kapierte, dass Michelle meine Gedanken gelesen hatte. Was viel wichtiger war: Wozu hatte ich dieses Eisenhutzeug, wenn es mich nicht davor schützte, dass die Horrorqueen in mir las?
Michelle erhob sich,
Weitere Kostenlose Bücher