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Silence

Silence

Titel: Silence Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Savannah Davis
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rannte an mir vorbei aus dem Waschraum und ließ mich alleine zurück. Einige Sekunden stand ich da, wie belämmert, dann folgte ich ihr in den langen Korridor, der auf beiden Seiten von Schulspinden gesäumt war. Nach ein paar großen Schritten hatte ich Michelle eingeholt, packte sie bei den Schultern und drückte sie mit einem lauten Knall gegen einen der Metallschränke.
    »Was hast du da gesagt?«, schrie ich außer mir vor Wut.
    Ich wusste nicht, wo diese Wut so plötzlich herkam. Allein die Aussage, dass ich Kelly nicht getötet hatte, konnte unmöglich ein so mächtiges Gefühl in mir wachrufen, dass ich bereit war, Michelle wehzutun. Ich war nie aggressiv gewesen und anderen Schmerzen zuzufügen, stand bei mir ganz oben auf der Das-Tut-man-nicht-Liste. Die Lisa, die ich bis dahin kannte, tat so etwas mit einem Schulterzucken ab und ging wieder zur Tage sordnung über. Ich brütete lieber allein im stillen Kämmerlein.
    Aber in mir brach irgendetwas Bahn, was ich nicht beschreiben kann. Etwas, das so mächtig war, dass es an mir zerrte, drohte mir die Kontrolle über mein Handeln zu entziehen.
    Michelle wehrte sich nicht einmal. Sie hing da wie ein Sack Kartoffeln, völlig kraftlos, den Blick über meine Schulter gerichtet. Wenn ich sie nicht gegen den Schrank gepresst hätte, wäre sie einfach in sich zusammengeklappt.
    »Du warst es nicht.« Michelles Blick bohrte sich in meine Augen, etwas zupfte an mir und ich fand mich mitten in einem Gespräch wieder, welches ihre Eltern g eführt hatten.
    Ich musste in Michelle stecken, denn ich stand verborgen hinter einer Tür, linste durch einen kleinen Spalt ins Schlafzimmer ihrer Eltern.
    Michelles Vater lag im breiten Doppelbett, die dünne Seidendecke bis über die Taille gezogen. Ich konnte sehen, dass er einen mitternachtsblauen Satin-Schlafanzug trug. Michelles Mutter stand vor dem Bett, in einen Hauch von Nichts gehüllt. Ein Anblick, auf den ich hätte verzichten können. Sie hatte die Hände zornig in die Hüften gestützt und schrie auf ihren Ehemann herunter.
    »Wir können Michelle nicht verheimlichen, warum Kelly gestorben ist. Und Lisa. Siehst du nicht, wie schwer sie das mitgenommen hat? Sie macht sich bestimmt die größten Vorwürfe. Du kannst doch das Mädchen nicht im Glauben lassen, sie hätte Kelly auf dem Gewissen.«
    Ich oder Michelle, ich war mir nicht sicher, wer von uns beiden fassungslos auf den kalten Fliesenboden sank, aber ich schwöre, selbst wenn das nur Michelles Reaktion auf das eben gehörte war, ich hätte genauso reagiert.
    »Du weißt genau, dass das nicht geht. Glaubst du, die Kinder könnten eine so unbeschwerte Jugend erleben, wenn sie wüssten, dass jeder Vierte von ihnen schon morgen tot sein könnte? Unsere Gesetze sind gut so, wie sie sind, weil sie funktionieren, Katherin.«
    »Eure Gesetze? Immer höre ich nur: eure Gesetze. Glaubst du, Lisa wird eine unbeschwerte Jugend haben, wenn sie denkt, sie hätte Schuld an Kellys Tod?«
    Ich konnte hören, wie ein paar nackte Füße sich der Tür näherten, neben der Michelle und ich kauerten. Ich wollte Michelle dazu zwingen, aufzustehen und fortzulaufen, aber sie rührte sich nicht. Sie konnte sich nicht rühren, denn das, was ich gerade mit angesehen hatte, war nur eine Erinnerung aus Michelles Kopf, nur etwas, das schon lange passiert war. Etwas, worauf ich keinen Einfluss mehr hatte.
    Der Flur mit seinen Schränken und Bildern begann zu verwischen und ich fand mich in der Schule wieder. Ich hielt Michelle noch immer an den Spind gedrückt. Ihr Gesicht war starr vor Entsetzen. Die Augen rot gerändert. Michelle zitterte jetzt.
    »Es tut mir leid«, brachte sie zwischen Schluchzern hervor. »Es tut mir so leid.«
    Ich war fassungslos, wusste nicht, was ich sagen sollte, wie ich reagieren sollte. In meinem Kopf war nichts weiter als ein Vakuum. Ich weiß nicht, wie lange wir beide so dastanden. Ich hatte Michelles Kragen in meiner Faust, sie wimmerte, nur noch ein Teil ihrer selbst.
    »Wie lange weißt du davon?«, war das Erste, was ich fragen konnte, als ich mich wieder einigermaßen gefangen hatte. »Wie lange? Los, sag schon!«, schrie ich.
    »Ein paar Monate«, flüsterte Michelle tonlos, vielleicht hatte sie es auch nur gedacht. Ich weiß es nicht mehr. Aber diese wenigen Worte reichten aus, um in mir eine nie gekannte Wut freizusetzen. Mit einem Arm hob ich Michelle hoch, hielt sie einen Augenblick so in der Luft. Sie japste nach Atem, ihre Arme und Beine hingen

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