Silence
gebucht.
Noch vor wenigen Tagen hätte mich die Aussicht darauf, Venedig zu sehen, gefreut. Ich hatte schon viel über die Stadt gehört, die auf Holzpfählen in einer Lagune lag. Doch jetzt überwog die Angst vor einer ungewissen Zukunft. Ich nahm neben den beiden am Tisch Platz.
»Also?«, sagte ich bissig. »Wir waren dort stehen geblieben, wo du sagst, ich wäre ein Welpe.«
Ermano grinste. »Findest du nicht auch, dass es hier schlimm nach nassem Hund stinkt, Giovanni?«
Giovanni nickte bestätigend und entblößte seine spitzen Reißzähne.
Mein Mund klappte auf. »Ich stinke nach nassem Hund?«
Die Vampire lachten.
»Das liegt wohl an deinem nassen Haar«, grinste Giovanni und wickelte sich eine meiner noch feuchten Strähnen um den Finger.
Ermano rümpfte angewidert die Nase. »Ist das Werwolfgen. Bei einem normalen Mädchen duften die frisch gewaschenen Haare immer so anziehend, dass sich mein Appetit auf ihr Blut meldet. Aber bei dir …«
Ich zog es vor, Ermanos letzte Bemerkung unkommentiert zu lassen, und starrte die beiden ungläubig und entrüstet zugleich an. Mein Gesichtsausdruck musste ziemlich bescheuert wirken, denn die Italiener lachten herzhaft los.
»Wollt ihr damit sagen, ich bin ein Werwolf? Die heulenden Wölfe heute Nacht im Wald, das waren meine Verwandten? Einwohner von Silence? Vielleicht sogar meine Mutter?« Meine Stimme war nur noch ein Flüstern.
»Das wollen wir damit sagen«, bestätigte Ermano und schnupperte in meine Richtung. »Du riechst nach Hund.«
Ich packte mir eine Handvoll meiner Haare und roch daran. »Das ist nicht wahr. Sie riechen wie immer«, sagte ich entrüstet.
Giovanni beugte sich zu mir rüber und zog mich an der Strähne meiner Haare, die noch immer um seinen Finger gewickelt war, näher zu seinem Gesicht. »Du riechst genauso lecker wie immer.« Dann küsste er mich sanft auf den Mund.
Mit beiden Händen drückte ich ihn von mir weg. Aufgeregt blickte ich von einem zum anderen.
»Ich bin also so ein Frankensteinmonster wie aus dem Fernsehen?«, fragte ich atemlos.
Meine Hände krallten sich in die Sitzfläche des Stuhls, auf dem ich saß. Ich wünschte mir, dass mir jemand mitteilen würde, dass das alles nicht wahr wäre und ich jeden Moment aus einem Koma aufwachen würde. Vielleicht hatte ich mir auf Mariana Beerdigung in Wirklichkeit nur den Kopf angestoßen und alles, was seither passiert war, war nur ein Traum? In Wahrheit lag ich gerade in einem schönen weichen Krankenhausbett und die letzten Wochen waren nichts weiter als ein Albtraum – ein zugegebenermaßen irrer Albtraum.
»Nein. Kein Frankensteinmonster. Du bestehst ja nicht aus Leichenteilen. Das trifft dann eher auf uns zu. Aber ja. Ein Werwolf, nur hübscher als diese Kreaturen aus dem Kino.«
Argwöhnisch betrachtete ich meine Hände. Meine Vorstellungskraft reichte nicht aus. Wie konnte sich dieser menschliche Körper in einen Wolf verwandeln und wieder zurück? Schon in meinen Fantasy-Büchern, die ich des Öfteren las, fand ich es absurd, dass ein Mensch sich in ein Tier verwandeln konnte. Wie sollte das vonstatten gehen?
»Unter erheblichen Schmerzen«, sagte Ermano mit einem mitleidigen Blick. »Deine Knochen brechen, verformen sich und setzen sich neu zusammen.«
»Danke«, sagte ich panisch. »Genau das wollte ich nicht wissen.« Der Gedanke an brechende Knochen verursachte eine extreme Übelkeit in mir. Mein Herz raste heftig in meiner Brust, als würde es vor dem davonlaufen wollen, was ihm bald bevorstand. Davonlaufen war eine traumhafte Idee, aber vor dem hier würde ich nicht davonlaufen können. Oder doch?
»Kann man es irgendwie aufhalten?«
Ermano schüttelte den Kopf. Er reichte eine Hand über die Tischplatte und streichelte über meine verkrampften Fäuste.
Ich war nie ein Mensch, der gut mit Schmerzen zurechtkam. Ja, was Schmerzen betraf, war ich ein Feigling. Ich vermied tunlichst alles, was mich verletzen konnte. Als Kind war ich einmal mit meinem Fahrrad gestürzt und hatte zahlreiche Verletzungen davon getr agen. Das war das letzte Mal, dass ich auf einem Fahrrad saß. Pferde, meine absoluten Lieblingstiere; ich füttere sie, streichle sie, liebe sie von Herzen, aber ich setze mich niemals auf eins drauf. Die Gefahr eines Sturzes ist einfach zu hoch. Genauso vermeide ich Leitern, Klettern oder auch nur den Sprung vom Zwei-Meterbrett ins Wasser. Ich war also ein wirklich schlechter Kandidat für eine Werwolfwandlung.
»Das kann ich nicht«, sagte
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