Silent Control | Thriller
Patriotismus.«
Wieder grinste er. »Ich nenn’ es Kohldampf, aber wenn Sie so wollen …«
Obwohl June Hamburger aller Art verabscheute, biss sie tapfer in das lappige Brötchen. Sie gab sich den Anschein größter Gelassenheit, in Wahrheit aber lief ihr Hirn auf Hochtouren. Wie um alles in der Welt sollte sie ohne Iriserkennung in den Laborbereich kommen?
Aber selbst wenn sie es bis dorthin schaffte, war das Risiko, das sie einging, mehr als hoch. So viel Wagemut müsste sie möglicherweise mit dem Leben bezahlen. Clark hatte ihr Orlandos Reich unmissverständlich verboten, und wenn sie dennoch hinging, würde es nicht lange dauern, bis man sie als Verräterin entlarvte.
Sollte sie besser umkehren, zurück in die abgesicherte Existenz der Spitzenagentin? Einfach den Bunker verlassen und nach Hause fliegen, als sei nichts gewesen? Noch war nichts verloren. Den Zugriff auf Clarks Mails konnte sie als Versehen darstellen. Es würde einen Verweis geben, vielleicht auch einen Eintrag in ihre Akte, doch sie würde davonkommen. War es das, was sie wollte?
Sie betrachtete den Soldaten, der seine Pommes frites mit einer Cola hinunterspülte, und ihr Vater kam ihr wieder in den Sinn. Zwar hatte er es weit gebracht, doch letztlich war er nur ein kläglicher Befehlsempfänger, bereit, alles zu tun, was die Oberbefehlshaber ihm auftrugen. Und bereit, unterschiedslos zu töten, feindliche Soldaten, Zivilsten, Frauen und Kinder.
So will ich nicht enden, durchfuhr es sie. Nein, der Point of no Return ist erreicht. Aber da war noch mehr: eine gewisse Zuneigung zu Torben Arnström und eine dunkle Vorahnung.
»Also, man sieht sich«, holte der Soldat sie in die Wirklichkeit zurück. Mit einem Kopfnicken in Junes Richtung nahm er sein Tablett und ging.
Über Lautsprecher wurde eine Einheit aufgerufen, sich abmarschbereit zu machen. Die Kantine leerte sich zusehends. Die Unruhe blieb. Mit gedämpften Stimmen diskutierten die restlichen Kantinengäste über den unerwarteten Befehl.
Auch die Agentin überlegte, was das zu bedeuten hatte. Warum wurde alles hermetisch abgeriegelt? Und warum hatte man für den Rest der Mannschaft die gesamte Kommunikation gesperrt? Diese Maßnahme konnte doch nur bedeuten, dass hier eine Top-Secret-Aktion lief, die kaum legal sein konnte. Clark war dabei, alle rechtsstaatlichen Prinzipien über Bord zu werfen. Ein lange nicht erlebtes Gefühl stieg in ihr hoch: nackte, panische Angst. Sie sah auf die Uhr. Die fünf Minuten waren vorbei.
In den düster beleuchteten Katakomben herrschte Hochbetrieb. Militärische und zivile Bunkerinsassen waren mit Aluminiumkoffern, Rucksäcken und Reisetaschen unterwegs, um an den Sammelpunkten auf ihre Evakuierung zu warten. Inmitten des Gedränges erreichte June den Raum KOO1348. Die Kameras in beiden Laufrichtungen waren gut zu erkennen, doch das Getümmel auf den Gängen schützte sie, wie sie hoffte.
Auch hier wimmelte es von gepäckbeladenen Mitarbeitern. June erkannte einige hochdotierte Offiziere der Air Force, die eigentlich nicht hierhergehörten. Offenbar kamen sie direkt vom Flughangar. Stirnrunzelnd sah sie ihnen nach. Was geschah hier nur?
Als sei es das Selbstverständlichste der Welt, klopfte sie an die Tür. Susan Olbraine öffnete sofort, und einen Wimpernschlag später standen sie allein in einem spartanisch eingerichteten Raum. Ein schmales Bett mit einer roten Tagesdecke, ein Schreibtisch voller zusammengepackter Ordner und ein Spind aus Metall, das war alles. Inmitten des Raums – ein brauner Koffer.
Also wird auch die Wissenschaftlerin ausgeflogen. June vergewisserte sich, dass sich hier keine Überwachungskameras befanden, dann fiel sie mit der Tür ins Haus.
»In den Laboren werden Menschenversuche mit neuen Waffensystemen durchgeführt, stimmt’s?«
Das war ein Bluff, aber er funktionierte. Susan Olbraine nickte beklommen.
Jetzt kam June in Fahrt. »Ich muss so schnell wie möglich zum Laborleiter. Können Sie mich zu ihm bringen?«
»Vielleicht«, antwortete die Frau. Wieder traten ihr Tränen in die Augen. »Wenn Sie wüssten, was da drin vor sich geht …«
»Dann helfen Sie mir bitte, in dieses verdammte Labor zu kommen.«
Orlandos Assistentin zögerte nur kurz, dann zog sie aus ihrer Handtasche eine Hornbrille hervor.
»Ist meine Ersatzbrille«, erklärte sie, »setzen Sie die auf.«
Sie ging zum Spind und holte einen weißen Kittel heraus.
»Der ist von meinem Vorgänger, besser zu groß als zu klein oder?
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