Silent Control | Thriller
Jedenfalls wird man Sie in diesem Aufzug für eine Wissenschaftlerin halten.«
»Clevere Idee.« June zog sich den Kittel über. »Und Sie meinen, das klappt?«
»Garantieren kann ich Ihnen nichts. Kommt drauf an, wie viel Zeit uns bleibt, bis der CIA-Direktor zurück im Labor ist. Er hat ein Treffen mit Mr. Orlando, soweit ich weiß.«
»Clark ist in einer Lagebesprechung«, erwiderte June. »Offensichtlich mit Militärs. Das dürfte eine Weile dauern.«
»Okay, dann versuchen wir’s.« Susan Olbraine straffte ihre Schultern. »Ihre einzige Chance, die biometrischen Erkennungssysteme zu umgehen, ist jemand, der die Autorisierung für den Laborbereich hat. Fragen Sie mich nicht, warum ich das tue. Die stellen mich an die Wand, wenn wir auffliegen.« Die Tränen liefen ihr jetzt über ihre Wangen.
June legte der jungen Wissenschaftlerin einen Arm um die zuckenden Schultern. »Doch, ich frage Sie.«
»Weil die hier Gott spielen!«, brach es aus ihr heraus. »Weil die Leute quälen, die ohne jede Gerichtsverhandlung in Straflagern inhaftiert sind! Ich habe es so satt! Und ich ertrage es nicht mehr!« Am ganzen Körper bebend, schluchzte sie auf. »Sie müssten mal die Schreie dieser armen Teufel hören! Sie verfolgen mich bis in meine Träume. Ich habe große Schuld auf mich geladen, weil ich mitgemacht habe.«
»Dafür tun Sie jetzt das Richtige. Muss ich noch irgendetwas beachten, bevor es losgeht?« June zog ein Tuch aus einer Kleenexbox und gab es der Wissenschaftlerin.
Sie schnäuzte sich. »Manchmal werden hinter der biometrischen Kontrolle noch die Ausweise gecheckt. Dann können wir einpacken. Aber wenn wir Glück haben …«
»Haben wir!«
In Innenspiegel der Spindtür begutachtete June ihre Verkleidung und zwirbelte ihr Haar zu einem Knoten.
Susan Olbraine gab ihr ein Haargummi. »Wie Schwestern sehen wir jetzt aus.« Sie schniefte noch einmal. »Was haben Sie denn genau vor?«
»Wenn wir drin sind, zeigen Sie mir unauffällig den Weg zu Orlando, den Rest überlassen Sie mir. Was für Kontrollen gibt es im Labor?«
»Alle paar Stunden kommen zivile Securitys und checken alles.« Die kennen eigentlich jedes Gesicht. Wir brauchen viel Glück.« Susan atmete tief durch.
June strich den Kittel glatt und überprüfte den Sitz ihres Haarknotens. Je mehr sie erfuhr, desto tollkühner erschien ihr der Plan. Doch die plötzliche Hilfsbereitschaft der Wissenschaftlerin ermutigte sie.
»Und es gibt drinnen keine Kameras?«
»Nicht im Labor, offiziell aus technischen Gründen, aber wohl mehr wegen der Geheimhaltung.«
Wenigstens das, dachte June. Sie taxierte noch einmal die Laborassistentin. Ob sie durchhalten würde, labil, wie sie war?
»Versuchen Sie, cool zu bleiben. Tun Sie das, was Sie immer tun. Sollte was schiefgehen, sagen Sie, ich hätte Sie dazu gezwungen. Ich bin bewaffnet.«
Knapp zwei Minuten später hatten June Madlow und Susan Olbraine den Eingang zum Labor erreicht. Voller Respekt beobachtete June, wie die zierliche Frau über sich selbst hinauszuwachsen schien. Nichts von ihrer eben noch herrschenden Unsicherheit war ihr anzumerken.
Wie selbstverständlich betraten sie den Bereich. June Madlow spürte, wie sich ihr Puls beschleunigte. Ab jetzt gab es kein Zurück mehr. Sie sagte keinen Ton, als sie Susan Olbraine durch die Schleuse folgte.
Als Erstes sah sie durch Glaswände getrennte Büros mit Computern, Messgeräten und merkwürdigen Apparaturen. Sechs Mitarbeiter waren so damit beschäftigt, Kurven und Diagramme auf den Rechnern auszuwerten, dass sie die beiden Frauen nicht wahrnahmen. June prägte sich alles ein. Mit ihrem jahrelang trainierten fotografischen Blick suchte sie nach Hinweisen, irgendwelche Dinge, die ihr jetzt oder später weiterhelfen könnten. Mit etwas Abstand folgte sie ihrer neuen Komplizin.
Von den Glaskabinen aus ging es weiter ins Allerheiligste, in einen Bereich, der von den Laboren nicht einsehbar war. Geräuschlos öffnete Susan Olbraine eine gepolsterte Tür, die in ein Büro führte. Es war überraschend klein und nur von einer Schreibtischlampe erhellt, die auf einem weißen Metalltisch stand. Dahinter hockte Darien Orlando und starrte auf seinen Laptop.
»Sir«, machte sich die Wissenschaftlerin bemerkbar.
»Wer ist diese Frau? Was macht sie hier?«, fuhr Orlando auf, als er neben seiner Mitarbeiterin die Agentin entdeckte.
Er wirkte noch kleiner und zerbrechlicher, als June ihn in Erinnerung hatte. Der verschreckte Ausdruck in seinem Gesicht
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