Silent Control | Thriller
Grimasse. Er konnte diese braven Bürgersprüche von Kilian nicht mehr hören. Trotz seines unkonventionellen Stylings war Kilian längst im Establishment angekommen. Im Grunde hatte er es nie verlassen, er, der Sohn aus wohlhabendem Hause. Und überhaupt – was war in diesen Zeiten schon richtig oder falsch?
»Lassen wir das, Kilian. Ist sonst irgendetwas bei euch vorgefallen?«
»Nein. Danke für dein Angebot. Ich muss jetzt weitermachen. Krieg dich wieder ein, ich komme morgen früh vorbei.«
Mit einem Klick war die Verbindung beendet. Torben schaute auf den Bildschirm vor sich und sah eine Nachricht von Vox News über den Ticker laufen, die ihm den Rest gab. Der Info-Krieg ging in die nächste Phase.
KAPITEL 5
STOCKHOLM
Eine Stunde wanderte Torben nun schon am Hafenkai entlang. Er ging nie spazieren, aber er hatte es in seinem Büro nicht mehr ausgehalten. Dieser Tag wollte einfach kein Ende nehmen. Mit weit ausholenden Schritten stapfte er in der Dunkelheit am Riddarfjärden entlang. Hier draußen war es noch kälter und windiger als in der Stadt. Die See war aufgewühlt, und Torben musste sich im Gehen vorbeugen, um nicht umgeweht zu werden.
Die frische Luft kühlte seinen heißen Kopf. Doch seine Gedanken liefen weiterhin auf Hochtouren. Am Morgen waren über hundert Aktivisten von Anonymous im Rahmen einer weltweit abgestimmten Aktion verhaftet worden. Und in Shanghai hatte man Tausende Demonstranten inhaftiert, bevor sie am nächsten Tag gegen ein Chemiewerk demonstrieren wollten. Sie hatten sich über Facebook und andere Foren verabredet. In Bahrain wurden erneut Regimekritiker hochgenommen, die im Netz korankritische Bemerkungen hinterlassen hatten. Wann würde die Spionagesoftware auch gegen uns eingesetzt werden? Diese Frage quälte Torben seit Wochen. Er nahm einen Stein und warf ihn in die Wellen. Das war noch nicht alles. Das Problem der Anonymous-Bewegung bestand darin, dass sie sich selbst schwer kontrollieren konnte. Mittlerweile mischten sich Black Hat Hacker mit kriminellen Aktionen zwischen jene Aktivisten, die für Transparenz und Informationsfreiheit kämpften. Und dann waren da noch die Behörden, die weltweit versuchten, Anonymous zu unterwandern.
Irgendwo musst du Spuren hinterlassen haben, dachte er. Sonst hätten sie dich nicht gehackt. Plötzlich blieb er wie angewurzelt stehen. Es gab nur noch diese eine Lösung: Auch wenn seine ganze Programmierung vielleicht noch nicht ausgereift war, es wurde höchste Zeit für einen ersten Einsatz. Sofort!
Auf der Stelle machte er kehrt und begann zu laufen. Er hastete zur nächsten größeren Straße. Die U-Bahn-Station lag zu weit entfernt. Er wollte keine Zeit verlieren. Er hielt ein Taxi an.
»Zur Baltzar von Platens Gata – auf dem schnellsten Weg!«
Der Taxifahrer beobachtete ihn im Rückspiegel, während er fuhr. Oder täuschte sich Torben? War er jetzt wirklich ein paranoider Nerd, wie Nova ihn genannt hatte? Doch sie hatte ja selbst miterlebt, dass er verfolgt worden war. Wer es auch immer auf ihn abgesehen hatte, er durfte jetzt nicht einknicken. Er war ein Kämpfer, kein Opfer, verdammt.
Er schaute aus dem Fenster, sah Häuser und kahle Bäume an sich vorüberziehen. Das war die Realität. Dahinter lag eine andere Wirklichkeit. Eine Welt, in der jeder mit jedem Krieg zu führen schien. Nur dass die Waffen sich verändert hatten. Er zog die Schultern hoch. Besaß er die Superwaffe? Auch wenn er nicht sicher war, er musste sie ausprobieren.
Zwanzig Minuten später stieg er zwei Querstraßen von seinem Büro entfernt aus. Wachsam sah er sich um, doch außer ein paar Müttern, die ihre Kinder von der Schule abgeholt hatten, war niemand zu entdecken. Das Kinderlachen gellte in seinen Ohren. Wieder musste er an das zertretene Spielzeugauto denken und an seine kleine Nichte. Sie schien Lichtjahre entfernt zu sein.
Mehr laufend als gehend, erreichte er den Hinterhof und schloss die Tür zu seinem Büro auf. Prüfend sah er sich um, konnte aber nichts Verdächtiges entdecken. Ohne seinen Parka auszuziehen, nahm er ein Kabel und verband einen der Rechner mit seinem Laptop. Seine Hände zitterten. Was würde das Programm anrichten? Die Vorstellung, es ohne vorherigen Test abzusetzen, zerriss ihn förmlich.
Bist du sicher, dass du das tun willst?, fragte sich Torben.
Es gab keine Alternative. Alles schien perfekt, so, wie er es über ein Jahr lang geplant hatte. Dennoch hielt er kurz inne, bevor er die Entertaste drückte. Was er
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