Silent Control | Thriller
Anonymous gute Absichten verfolgen. Oder dass sich sogar ganz andere Leute hinter diesem Label verstecken. Er war sich sicher, dass das Internet das wichtigste Instrument unserer Epoche ist. An der Art und Weise, wie die Regierungen das Netz für ihre Zwecke nutzen, um unser Leben, unsere Gedanken auszuspionieren und zu kontrollieren, wird sich zeigen, was die Demokratie noch wert ist. Wir haben nicht mehr viel Zeit, Nova, und die weltweite Krise beschleunigt nun alles.«
»Und welche Interessen bedienen falsche Anonymous?«, erkundigte sich Nova.
»Nun, es ist das Prinzip des Agent Provocateur. Nova, verdammt, wenn das so weitergeht, können die Regierungen die Einführung eines totalen Überwachungssystems rechtfertigen, um die Kontrolle zu behalten. Verstehst du? Dann ist es aus und vorbei mit der Freiheit! Ich kann nur vermuten, dass Peter genau das verhindern wollte.«
Erregt fuhr sich Nova durchs Haar. »Ist das nicht ein bisschen hoch gegriffen? Big Brother, George Orwell und das ganze Zeug?«
Torben stand auf und lehnte sich an die Fensterbank, auf der halb vertrocknete Pflanzen vor sich hin kümmerten. »Die Bedrohung der nationalen Sicherheit aus dem Cyberspace wird inzwischen höher eingestuft als die Gefahr durch terroristische Angriffe. Was meinst denn du, was mittlerweile hinter geschlossenen Türen abgeht? Ich gebe dir ein Beispiel. Vor Kurzem haben die Regierungen eine neue Struktur aufbauen lassen. Ein Bulle in Berlin wurde in einem virtuellen Raum und in Echtzeit mit einem Agenten in Washington, einem Analytiker in Hongkong und einem Forensiker, also einem Experten für die Analyse digitaler Spurensicherung, im Netz in New York verkoppelt, um sofort einen Hackerangriff aufzuklären und die Quelle lahmzulegen.«
»Krass.«
Geistesabwesend zerkrümelte er ein welkes Blatt zwischen den Fingern. »Nach dem, was heute früh passiert ist, kannst du dir ja denken, wie hysterisch die mittlerweile reagieren. Die sperren in aller Seelenruhe das Internet und löschen alles, was ihnen nicht in den Kram passt. Ich denke, dass Spygate das verhindern kann.«
Eine Weile war es still, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Nova schob die Fast-Food-Reste zusammen und warf sie in den Mülleimer. Dann drehte sie sich um und stemmte die Hände in die Hüften.
»Angenommen, du hast recht. Gibt es denn eine einzige seriöse Quelle, die den Plan für einen ›Kill switch‹ bestätigt?«
»Seriös, haha. Seriös ist hier gar nichts.« Torben sah aus dem Fenster und erstarrte im nächsten Augenblick. Auf der anderen Straßenseite parkte ein Auto. Das wäre nichts Ungewöhnliches. Doch er glaubte, den Mann, der darinsaß, wiederzuerkennen. Als er den Kopf zur Seite wandte, sah Torben, wie das Licht der Straßenlaterne kurz das Gesicht unter der grauen Wollmütze beleuchtete.
Nova trat zu ihm ans Fenster, bevor er sie davon abhalten konnte.
»O Gott! Ich glaube, du solltest den Umschlag wieder mitnehmen.«
KAPITEL 6
WÜSTE NEVADA – BUNKER WHITESTAR
Andrew Blake flog mit seiner F-16 eine elegante Linie durch die afghanischen Gebirgsketten und schaltete wie befohlen den Funkverkehr ab. Er spürte die Dioden, die fest mit seinem Kopf verbunden waren. Was gleich geschehen würde, wusste er, dafür hatte man ihn lange genug trainiert. Dennoch war es ein beklemmendes Gefühl, die Kontrolle an jemanden abzugeben, der einige Tausend Kilometer entfernt war.
Mit beiden Händen umklammerte Andrew das Steuerruder. Er war Anfang dreißig, muskulös und einer der Besten seines Jahrgangs. Und er war ein Versuchskaninchen. Seit knapp einem Monat zierte der kleine Ausgang des Empfängers seinen Schädel. Das Kabel ragte kurz hinter seinem Ohr hervor. Komisches Gefühl. Wie ferngesteuert.
Jeder noch so kleine Fehler könnte fatale Auswirkungen haben. Außerdem war es bei den vorangegangenen Tests der Hirn-zu-Hirn-Kommunikation immer wieder zu Komplikationen gekommen: mechanische Gewebeverletzungen, allgemeine Unverträglichkeiten, Funktionsverluste durch Kabelbruch oder Einkapselung des Empfängers im Fettgewebe.
In der Bodenstation des Whitestar Bunkers in der Wüste von Nevada war man sich dagegen der Sache sicher. Dort saß Leutnant Terry Whisberry inmitten von Kupferspulen. Sie waren eine Adaption jener Spulen, die auf die Erfindung von Nikola Teszla zurückgingen. Die Militärs hatten Milliarden in dieses Projekt investiert. So kam der alte Meister und Widersacher von Thomas Edison auf traurige Art doch noch zum Zug.
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