Silentium
eine große Wohltätigkeitsparty. Es würde mich freuen, wenn Sie kommen könnten. Aber Sie müssen mir versprechen, daß Sie meinen Vater nicht auf die Adressen anreden.»
«Versprochen», hat der Brenner gesagt. Weil manchmal mußt du als Detektiv ein bißchen was versprechen, das du nicht halten kannst.
Wie er allein den Berg hinuntergetrottet ist, hat er ein bißchen vor sich hin gepfiffen. War eine alte Gewohnheit von ihm, die ewige Pfeiferei. Oft hat er eine Melodie tagelang nicht mehr aus dem Kopf gekriegt. Und interessant, wenn er sich dann überlegt hat, was er da eigentlich die ganze Zeit pfeift, hat der Text oft genau gepaßt, praktisch unbewußter Kommentar zu seiner jeweiligen Situation. So manchen Fall hätte er sogar schon viel früher gelöst, wenn er rechtzeitig darauf geachtet hätte, was ihm sein Unbewußtes da eigentlich zwitschert.
Auf seinem Heimweg hat er jetzt natürlich nicht weiter auf sein Gepfeife geachtet, weil ist normal, daß der Mensch ein bißchen pfeift, wenn er mitten in der Nacht allein durch den Wald geht. Und es waren momentan ganz andere Wörter, die ihn beschäftigt haben: Petting und Party.
Weil er hat sich jetzt richtig ein bißchen auf die Party gefreut. Oder sagen wir einmal so. Am nächsten Tag zuerst einmal ausgiebig Petting. Und Party dann noch einmal ganz ein anderes Kapitel.
6
Jetzt Petting. Das Gespräch mit der Witwe hat dem Brenner die ganze Nacht keine Ruhe gelassen, und er ist erst gegen Morgen eingeschlafen. Darum ist er dann erst um halb zwölf aufgewacht und hat sich in der ärgsten Mittagshitze auf den Weg zum Kapitelplatz gemacht.
«Eheberatung Dr. Phil. Guth» ist auf der Messingtafel gestanden. Der Brenner hat zwar von der Witwe gehört, daß der alte Dr. Guth nicht mehr persönlich das Büro leitet. Aber kommt ja oft vor, daß ein Geschäft den Namen des Gründers behält, auch wenn es schon dreimal verkauft worden ist, und da sagt vielleicht die japanische Bank, wißt ihr was, Traditionstrachten Toyota klingt nicht gut, bleiben wir beim alten Namen, damit das Gefühl nicht verletzt wird.
Die Lage des Ehebüros Dr. Phil. Guth war eins a, praktisch gegenüber vom Dom. Alle anderen Büros im Haus ebenfalls kirchliche Institutionen. Da hat einmal eine alte Witwe gewohnt, keine Kinder, dann natürlich ein bißchen die Angst, daß es doch etwas geben könnte, praktisch Jenseits, und ein Leben lang den armen Schluckern das Geld aus der Tasche gezogen, hat sie das Haus eben der Kirche vermacht. Du darfst nicht vergessen, die Kirche hat da ihre eigens ausgebildeten Spezialkräfte, die nehmen den alten Leuten die Beichte ab und sonst auch alles, weil Sprichwort, das letzte Hemd hat keine Taschen.
Darum gehört praktisch die ganze Altstadt der Kirche, Kapitelplatz alles Kirche, Residenzplatz alles Kirche, Domplatz alles Kirche, Kaigasse alles Kirche und, und, und. Insofern hat es gar nichts mit dem Eigentum in dem Sinn zu tun gehabt, daß das katholische Ehebüro so nahe am Dom war, weil weiter entfernt vom Dom ja ebenfalls alles Kirche.
Ich persönlich finde das gar nicht so schlecht, weil in privaten Händen wird alles früher oder später zu einer Schießbude, zu einem Ringelspiel, zu einer Disco oder meinetwegen Hamburgerstand. Und die Kirche doch behutsamer, das merkst du sofort, wenn du durch Salzburg spazierst, da darfst du nicht erschrecken und glauben, daß du tot bist, sondern das ist Wirklichkeit. Da kriegst du so ein Gefühl da hinten im Genick, Mittelalter, mein lieber Schwan, das kann man sich noch richtig vorstellen, die engen Gassen, die kleinen Fenster, die Pflastersteine, also schon eine gewisse geschichtliche dings.
Aber das Erhebende gilt nur, wenn man durch die Gassen geht. Wenn du dann ein Haus betrittst, da geht es einem leicht so, wie es dem Brenner jetzt gegangen ist. Quasi außen das Erhebende, innen das Bedrückende. Weil das ist ein Schweigen und eine Reinlichkeit auf den Gängen gewesen, da hat es ihm, muß ich ganz ehrlich sagen, schon ein bißchen das Hemd hinten hineingezogen.
Erster Stock katholische Jungschar, zweiter Stock katholische Jugend, dritter Stock katholische Eheberatung. Gott sei Dank hat das mittelalterliche Gebäude am Kapitelplatz nur drei Stockwerke gehabt, weil nach Jungschar, Jugend und Eheberatung sonst womöglich vierter Stock wieder mehr der Abwärtstrend, sprich katholische Begräbnis- und Selbstmörderpartie. Aber man soll nicht immer das Negative betonen, und das Haus hat eben keinen vierten
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