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Silentium

Silentium

Titel: Silentium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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Das war durchaus noch ordentliches Benehmen. Aber der zweite Liegestuhl ist mit dem Rücken zum Brenner gestanden, und ob du es glaubst oder nicht, bevor der Brenner den Menschen noch gesehen hat, hat er schon gewußt, kein Diplomat. Weil der ist so wunderbar bequem in seinem Liegestuhl gelegen, daß seine nackten Unterarme hinter dem Liegestuhl hinuntergebaumelt sind. Darum hat der Brenner schon die tätowierten Inschriften lesen können, bevor er den Menschen überhaupt zu Gesicht bekommen hat.
    Bei Tätowierungen muß man natürlich unterscheiden, weil heute läßt sich ja schon jede Gutsbesitzerin, die vor Neid auf die zehnfach vorbestrafte Tochter ihrer Putzfrau nicht schlafen kann, ein bißchen ein Ornament auf ihren makellosen Plastikkörper tätowieren. Aber eine echte Gefängnis-Tätowierung hat der Brenner natürlich auf den ersten Blick erkannt. «Mariechen Schaumburg» ist so groß in ungelenken Buchstaben auf dem linken Unterarm gestanden, daß man es wahrscheinlich noch vom Kapuzinerberg herüber lesen hätte können. Die Zeichnungen dazu will ich lieber nicht beschreiben, weil nicht vollkommen jugendfrei.
    Vielleicht ist es immer noch an der körperlichen Ausschüttung im Heiratsinstitut gelegen, daß der Brenner jetzt derart schnell kombiniert hat. Sprich, der Dr. Prader Bewährungshelfer, und das muß also einer von seinen Pappenheimern sein.
    Aber wie er dann mehr von dem Burschen im Liegestuhl gesehen hat, war das irgendwie doch kein ganz astreiner Gefängnisbruder. Ja und nein, hat der Brenner gedacht, während er dem Dr. Prader die Hand geschüttelt und den Burschen gemustert hat. Ja, weil der schon vom Begrüßungslächeln weg um einen halben Schneidezahn im Rückstand war. Und nein, weil er trotzdem eine recht sympathische Ausstrahlung gehabt hat, nicht einen hinterfotzigen Knastgrinser, sondern die Zahnlücke hat in seinem feinen Gesicht fast ein bißchen kindlich gewirkt.
    Der Dr. Prader hat dem Brenner einen dritten Liegestuhl aufgestellt und ihm ein Mineralwasser eingeschenkt. «Vielleicht haben Sie eine Idee», hat er ihn gleich in die Diskussion einbezogen, ohne seinen Schützling lang vorzustellen. «Wir suchen eine Arbeit für den René.»
    «Hast du im Bau was gelernt?» Weil bei solchen Typen nicht lange mit der Höflichkeit fackeln, da hat der Brenner natürlich schon ein bißchen Erfahrung gehabt. Und unter uns gesagt, ich glaube, er hat es auch ein bißchen gebraucht, daß er dem Burschen zeigt, ich fürchte mich nicht vor dir. Weil der René Oberarme wie eine Japanerin. Aber natürlich nicht wie die Oberarme von einer Japanerin, sondern wie eine ganze Japanerin, ungefähr diese Oberarmdicke.
    «Er hat eine Schlosserlehre gemacht», hat der Dr. Prader für seinen Schützling geantwortet.
    «Im Bau eine Schlosserlehre?»
    Der René hat mit seinem halben Zahn gegrinst: «Sicher.»
    «Staatlicher Intensivkurs für die weitere Einbrecherkarriere», hat der Brenner gebrummt. Der Dr. Prader hat schon ein bißchen besorgt geschaut, daß sein Schützling so behandelt wird. Weil sonst natürlich nur Verständnis im Hause Dr. Prader für den René, und wenn der Botschafter ihm über den Weg gelaufen ist, sogar immer diplomatische Höflichkeitsform: «Herr René»!
    Aber dem René selber hat das gar nichts ausgemacht. «Ich bin ja nicht für Einbruch gesessen», hat er behauptet und sich dabei die Hand vor die Augen gehalten, weil ihn die Sonne so geblendet hat.
    «Sondern?»
    «Für Ausbruch!» hat der René gelacht.
    Das mußt du dir einmal vorstellen. In der nobelsten Salzburger Villa, wo sich normalerweise Opernsänger und Präsidenten die Klinke in die Hand geben, lungert dieser Gefängnisbruder im Liegestuhl und erzählt solche Geschichten, und alles nur, weil der Dr. Prader unbedingt ein guter Mensch sein muß.
    «Ursprünglich ist er wegen einer geringfügigen Sache nur für zwei Monate in die Jugendstrafanstalt gekommen», hat der Dr. Prader die Stirn gerunzelt. «Aber dort haben sie ihn so drangsaliert, daß er nach vier Wochen davongelaufen ist.»
    «So sind aus zwei Monaten zwei Jahre geworden», hat der René gelacht, als wäre es gar nicht sein Leben, über das hier geredet wird.
    «Und wie bist du damals hinausgekommen?» hat der Brenner wissen wollen.
    «Ich hab so eine Baseballkappe aufgehabt. Diese Kappen mit einem Schild vorn dran.»
    «Ich weiß, was eine Baseballkappe ist.» Ehrlich gesagt hat es der Brenner noch gar nicht so lange gewußt, aber jetzt um so informierter

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