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Silentium

Silentium

Titel: Silentium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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verschwunden ist. Aber unglaublich, daß es so was geben kann bei einem fast fünfzigjährigen Mann. Bei dem Gespräch mit dem Waldbrand hat sein Körper derartig viel Energiesubstanz ausgeschüttet, daß ihn alle Muskeln regelrecht gebrannt haben. Oder nicht direkt die Muskeln. Sagen wir einmal so, angefühlt hat es sich, als hätte er sich am Waldbrand seine Eier angezündet.
    Aber Stiege in dem Fall schlechte Therapie, weil jeder Schritt Höllenqual, und wie der Brenner dann endlich oben war, hat er sich schnaufend auf die Steinbrüstung gelehnt und den senkrechten Felsen in den Toscanini-Hof hinuntergeblickt, und ich glaube fast, daß ihm da ein bißchen durch den Kopf gegangen ist, wie leicht er jetzt mit einem Sprung diese Schmerzen ein für allemal loswerden könnte. Hätte natürlich dann nie jemand erraten, warum er gehüpft ist, und womöglich die Hinterbliebenen tausend Gedanken in jede Richtung, nur nicht, daß einer es vor lauter Geilheit nicht mehr ausgehalten hat auf dieser Welt.
    Aber wie der Brenner dann langsam zu Atem gekommen ist, Vernunft wieder im Vordergrund. Ihm ist aufgefallen, daß sein Hemd vollkommen durchgeschwitzt war, und er hat sich gefragt, ob er so überhaupt beim Dr. Prader klingeln kann. Dieses Problem hat sich dann aber ganz von selber gelöst. Weil die Prader-Villa hat gar keine Klingel gehabt. Letztes Mal ist das dem Brenner nicht aufgefallen, weil der Dr. Prader ihn schon am Gartentor erwartet hat. Aber jetzt: keine Klingel weit und breit.
    Jetzt, falls du einmal mit der besseren Gesellschaft in Kontakt kommst, gebe ich dir einen guten Rat. Such nicht nach einer Klingel, schau lieber, ob du mitten auf der Tür einen Löwen findest, der einen Ring im Maul hält, weil der ist zum Anklopfen da. Nach einer gewissen Zeit hat es der Brenner auch begriffen, zweimal geklopft, und schon ist die Tür aufgegangen.
    Aber es war nicht der Dr. Prader, der ihm die Tür aufgemacht hat. Und es war auch nicht die Frau Dr. Prader und auch keines der vier Kinder. Ein älterer Herr mit schlohweißen Haaren und schwarzen Augenbrauen ist dagestanden. Und rund um den Mund hat er einen weißen Bart gehabt, quasi James-Last-Bart, aber eben weiß und würdig und nicht rotblond und ekelerregend.
    Das muß der Butler vom Botschafter sein, der jeden Sommer die Prader-Villa mietet, hat der Brenner sich gedacht, wie der steife Kerl vor ihm gestanden ist. Dabei war es natürlich der Botschafter selber. Weil das gibt es ja immer wieder bei den oberen Zehntausend, daß sie vor Neid auf ihre Dienstboten nicht mehr schlafen können. Und kaum daß sich die Gelegenheit bietet, macht sich heute ein Bankdirektor schon die Hände schmutzig, aber nicht Drogengeld, sondern das eigene Auto reparieren. Der Herr Aufsichtsrat muß unbedingt selber mit viel Lärm einen Baum umschneiden, der Herr Primär will endlich einmal persönlich das Erbrochene von seiner alkoholkranken Frau wegputzen, praktisch das Leben wieder ganz spüren.
    Und der Botschafter ist im Lauf seiner Karriere schon fast überall auf der Welt im Einsatz gewesen, die Prag-Jahre, die Athen-Jahre, dann wunderbar Johannesburg, und jetzt zum Abschluß sogar noch das Exotische, sprich Manila. Aber im Innersten seines Herzens eben immer ein bescheidener Mensch geblieben, und Traum: Einmal im Leben mit eigenen Händen einem wildfremden Menschen die Tür aufhalten.
    «Der Dr. Prader ist wohl nicht zu Hause.» Der Brenner hat einen Schritt zurück gemacht, quasi zur Begrüßung gleich Abschiedsworte.
    Ich muß ehrlich sagen, da wird sich der österreichische Botschafter auf den Philippinen seinen Teil gedacht haben über dieses Benehmen. Die Diplomaten sind ja immer sehr gut mit den Umgangsformen, da gibt es eine eigene Akademie, wo nur der den Diplomaten-Abschluß kriegt, der sich alle Umgangsformen merken kann. Nur damit du verstehst, warum der Botschafter jetzt so elegant reagiert hat. Wie der dem Brenner mit einer einladenden Handbewegung gedeutet hat, daß der Dr. Prader hinten im Garten sitzt, das hättest du sehen sollen. Ohne Herablassung oder ding, einfach mit einer einzigen Handbewegung ausdrücken: Schau, da im Garten sitzt er ja, komm herein. Da ist heute schon ein diplomatischer Feinschliff erreicht, wo ich sagen muß, kein Wunder, daß es keine Weltkriege mehr gibt.
    Im Garten dann aber Kontrastprogramm, frage nicht. Wie der Brenner um die Ecke gekommen ist, hat der Dr. Prader ihn von seinem Liegestuhl aus gleich gesehen und ihm freundlich zugewinkt.

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