Silentium
René hat den Kopf geschüttelt. «Das schaffe ich aber nicht.»
«Schau sie dir zuerst einmal an, dann reden wir weiter.» Da ist das Gefühl vom Brenner immer noch gut gewesen.
«Ich weiß, wie sie aussieht.»
«Kennst du sie?»
«Wenn Sie mir den Namen der Agentur gesagt hätten», hat der René ein bißchen verlegen aus seinem halben Schneidezahn heraus gesagt und auf das in der Sonne glänzende Firmenschild gedeutet.
«Was wäre dann gewesen?»
«Dann hätte ich es Ihnen schon vorher sagen können.» Der Bursche hat auf einmal herumgedruckst, wie es sonst gar nicht seine Art war.
«Was sagen?»
«Der Waldbrand ist die Alte von meinem Bewährungshelfer.»
Und jetzt natürlich das gute Gefühl vom Brenner. Böhmisches Viertel nichts dagegen.
7
Jetzt Party. Seit ein paar Jahren war die Tochter vom Festspielvize selber auch ein bißchen Präsidentin, nicht von den Festspielen, sondern quasi Wohltätigkeitspräsidentin. Weil Wohltätigkeit nie für den Hugo. Sondern das Geld, das hereingekommen ist, nur für den Schwachen, entweder vom sozialen dings her schwach, oder sagen wir Afrika unten, wo sie die Kondome lieber aufsparen als Willkommensluftballone für den nächsten Papstbesuch. Dann natürlich Krankheiten noch und noch, muß man wieder tonnenweise Medikamente hinunterschicken, das kostet ja alles ein Vermögen, jetzt woher nehmen, wenn nicht stehlen, haben die Festspielleute in einer besinnlichen Stunde gesagt, wißt ihr was, machen wir eine Wohltätigkeitsparty.
Aber diesen Sommer große Frage, ob die Tochter vom Vize nicht alles absagen muß, weil Trauerfall. Dann natürlich um so mehr Respekt, weil übermenschliche Disziplin, Motto: Die Spenden sind wichtiger als meine Gefühle. Und ich muß auch sagen, eine Absage hätte ihren Mann nicht mehr lebendig gemacht. Eventuell, daß die drei anderen dann am Leben geblieben wären, das könnte ich mir vorstellen. Aber das wird man nie erfahren, weil oft die kleinsten Kleinigkeiten schon alles vollkommen verändern, und nur weil du dir vielleicht vor dreißig Jahren die Schuhe zu locker gebunden hast, stürzt morgen in China ein Flugzeug ab.
Obwohl ich ganz ehrlich sagen muß, daß der Brenner auf der Party picobello Schuhe angehabt hat. Das ist ja nur damals im Puntigamer Gymnasium gewesen, daß er seinen Lehrer ganz verrückt gemacht hat mit seinen ewig offenen Schuhbändern. Aus heutiger Sicht muß man sagen, der Brenner Modeschöpfer, aber damals einfach schlampig und unordentlich, da soll man nicht zuviel Modeschöpferisches hineingeheimnissen. Aber dieser Lehrer hat sich nur deshalb so über jede Kleinigkeit aufgeregt, weil er mit seinem Beruf unzufrieden war. Darum ist er ja dann ausgewandert, hat sein Hobby zum Beruf gemacht, angeblich Berufspilot bei irgendeiner kleinen Fluglinie im hintersten China. Aber ich will jetzt nicht den Teufel an die Wand malen, daß der unbedingt abstürzen muß.
Vielleicht ist das mit China dem Brenner auf der Party auch nur eingefallen, weil er unter all den noblen Gästen wieder das bildhübsche Mädchen aus der Garderobe entdeckt hat. Zumindest hat er geglaubt, daß es dieselbe war, das ist ja das Verhexte mit den Asiatinnen. Daß es so was gibt, die Ähnlichkeit mit dem Putzmädchen aus dem Marianum war jetzt völlig verschwunden, aber an das Mädchen aus der Garderobe hat sie ihn doch erinnert. Nur daß sie heute ausgesehen hat wie eine Prinzessin. Und da muß man wirklich wieder einmal sagen, Gegensätze ziehen sich an, weil die Prinzessin hat wahrscheinlich keine vierzig Kilo gewogen und der schnaufende Baßsänger auf ihrem Schoß bestimmt das Zehnfache.
Die anderen Partygäste sind dem Brenner auch so durcheinandergekommen, daß er fast schwindlig geworden ist. Weltberühmte Sänger, Dirigenten, Industrielle, Politiker, Bischöfe und, und, und. Erkannt hat er die wenigsten, aber jeden hat er schon irgendwann einmal im Fernsehen gesehen, oder Zeitung, oder in den Auslagen der Salzburger Geschäfte, wo während der Festspielzeit immer ein bißchen die Fotos von den berühmten Sängern ausgestellt sind, Tenorsänger, Baßsänger, Sopransänger, alles!
Bei manchen Gästen hat er bemerkt, daß sie unsicher sind, ob der Brenner auch weltberühmt ist oder nicht, weil die haben ihn mit diesem Lächeln angelächelt, das für solche Fälle reserviert ist. Ungefähr so ein Lächeln, wie wenn bei ohrenbetäubender Discomusik jemand seine Lebensgeschichte erzählt, und du verstehst zwar kein Wort, willst den
Weitere Kostenlose Bücher