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Silentium

Silentium

Titel: Silentium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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waren sie Gott sei Dank schon im Salon, und der Vize ist gleich zu seiner Tochter hinübergestürmt.
    Im Salon jetzt vollkommen veränderte Stimmung. Alle sind im Kreis gestanden, und ein einziger Mensch in der Mitte, der geredet und gegessen hat. Aber nicht daß du glaubst, Röllchen gegessen, oder meinetwegen Gulasch gegessen, oder von mir aus sogar verbrannten Toast. Ob du es glaubst oder nicht, der René ist dagestanden und hat vor aller Augen sein Sektglas verspeist!
    Die feinen Festspieldamen haben den Prolo angehimmelt, als hätten sie sich vor lauter Fischessen selber in kleine dreizehnjährige Backfische verwandelt.
    «So hast du dir also deinen Zahn ausgebissen», hat der Brenner nach der Vorstellung möglichst unbeeindruckt getan.
    Der René hat den Kopf geschüttelt. «Glas ist ja weicher als vieles, was wir essen. Es kommt nur darauf an, daß man es richtig einspeichelt. Darum macht es ja die Weiber so geil, wenn man vor ihnen ein Glas verzehrt.»
    «Verstehe.» Der Brenner hat einen Augenblick überlegt. «Ich werde dir jetzt einmal was sagen. Petting kannst du vergessen.»
    «Da wäre ich mir nicht so sicher», hat der René blöd gegrinst. «Das fällt nämlich nicht unter meine Bewährungsauflagen. Ab vierzehn natürlich! Aber die Damen sind ja alle schon über vierzehn.»
    «Weißt du, was Petting ist?»
    «Eine halbe Sache.»
    «Ein paar Kilometer über der Grenze. Petting zwischen Freilassing und Waging oder so.»
    Der René hat seine Augen geschlossen, als würde ihn jetzt das Sektglas doch drücken, und dann hat er seine Augenlider ganz langsam wieder auf Halbmast hochgezogen und mit einer ziemlich gut nachgemachten weiblichen Schleifpapierstimme gesagt: «Interessant.»
    «Ja, interessant.»
    «Das wird den Herrn freuen», hat der René wieder mit seiner eigenen Stimme gesagt und auf den Glatzkopf mit den schwarzen Hörnern gedeutet, der die schöne Eröffnungsrede gehalten hat.
    «Wieso?»
    «Sagen Sie bloß, Sie kennen den nicht.»
    «Sieht aus wie ein Dirigent mit seinen Haaren.»
    «Und wenn ich Ihnen sage, daß er sich freuen wird», hat der René den Rätselonkel spielen müssen, «weil ihn die Sache mit Petting jetzt nicht mehr belastet? Weil jetzt eher der Gottlieb blöd dasteht?»
    «Das ist der Schorn?»
    «Ich hoffe, der legt dann aus Dankbarkeit für meine Nachforschungen ein gutes Wort für mich ein.»
    «Beim Arbeitsamt?»
    «Beim Waldbrand. Ich bin ja nur auf Bewährung heraußen. Und sie hat mich erwischt, wie ich vor der Party noch schnell die Büroschlüssel zurückgelegt habe.»
    «Ich hab mich schon die ganze Zeit gewundert, daß der Waldbrand nicht auch da ist.»
    «Eben deshalb. Sie hat ja gleich ins Büro hinunter müssen, vor lauter Angst, ich könnte ihr was gestohlen haben.»
    «Das ist eine schlechte Nachricht», hat der Brenner gleichgültig gesagt.
    Er hat versucht, es sich nicht anmerken zu lassen, daß er sich in dem Moment richtig ein bißchen um den René gesorgt hat. Aber die Sache hat ihn nicht lange belastet. Zwei Stunden später hat er sie schon komplett vergessen gehabt. Überhaupt keine Sorgen mehr um den René. Weil es gibt auf dieser Welt nichts Besseres gegen kleine Sorgen, als wenn du auf einmal richtige Sorgen hast.
     

8
    Auf dem Heimweg über den Kapuzinerberg hat der Brenner den morgigen Kopfwehanfall schon ein bißchen kommen gespürt. Es war aber nicht der Alkohol, weil so viel hat er auf der Party gar nicht getrunken. Es war mehr das Reden. Und das Zuhören. Und vor allem das scheinbare Zuhören, während man in Wahrheit gerade nebenan zuhört.
    Weh getan hat ihm der Kopf noch kein bißchen, aber eben aus Erfahrung hat er schon gewußt, es läßt sich nicht mehr aufhalten. Weil auf dem Heimweg schon untrügliches Zeichen: zuviel aufgeregtes Durcheinander im Kopf, zu viele schnatternde Gedanken, quasi Gedankenparty.
    Aber interessant, genauso wie er beim Gespräch mit dem Vize in Gedanken nebenan beim Sportpräfekt Fitz und dem Dr. Prader war, hat er am Heimweg zwar über das Haus in Petting nachgedacht und darüber, daß das Küchenmädchen eine fünfzehnjährige Philippinin war, aber in Wirklichkeit war er auch schon die ganze Zeit bei einem anderen Gedanken, praktisch Unhöflichkeit gegenüber den eigenen Gedanken.
    Wie gesagt, es ist nicht vom Alkohol gekommen, daß er die ganze Zeit bei der Rede vom Monsignore Schorn war. Und bestimmt nicht vom Vollmond, weil so richtig Vollmond war ja noch gar nicht, sondern erst in zwei Tagen, es hat nur

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