Silenus: Thriller (German Edition)
war, so wären die Konsequenzen fürchterlich …
George beschloss, die Sache zu vergessen. Der Wolf war verrückt gewesen, irrational. Gewiss hatte er sich geirrt. »Tut mir leid«, sagte er. »Ich habe nur einen Scherz gemacht.«
Die Glut in Silenus’ Augen erlosch, und er tätschelte George das Knie. »Ich weiß. Schlaf ein bisschen. Du musst wieder zu Kräften kommen.«
George legte sich wieder hin. Silenus klappte seine Uhr zu und ging zur Tür.
»Harry?«, sagte George.
»Ja?«
»Was machen wir als Nächstes?«
Er seufzte. »Ich habe keine Ahnung.« Dann ging er hinaus und schloss die Tür hinter sich.
Teil Drei
DIE JÄGER
Die Welt sehen in einem Körnchen Sand,
In einer Blume das Himmelsrund,
Die Unendlichkeit in deiner Hand,
Und die Ewigkeit in einer Stund .
William Blake, Auguries of Innocence
Spiel! Erfinde die Welt! Erfinde die Wirklichkeit!
Vladimir Nabokov, Sieh doch die Harlekins!
22
SEHR WITZIGE LEUTE
Als Colette eingetroffen war, verkündete Silenus, er würde sie alle zum Abendessen ausführen. Jeder in der Truppe reagierte gereizt auf diese bizarre Ankündigung. Colette war müde von der Reise und gewiss nicht in Stimmung, irgendetwas zu feiern, Frannys Hände waren nach dem Kampf mit dem Wolf dick bandagiert, Stanley sah kränklicher aus denn je, und George hatte sich noch nicht ganz erholt. Aber Silenus ließ sich nicht davon abbringen. »Mein Sohn wurde unter großen Gefahren zu uns zurückgeholt«, sagte er. »Das müssen wir feiern, und wir müssen auch Respekt demonstrieren, im Gedenken an den Toten, der uns genommen wurde. Ich werde nicht zulassen, dass dies eine Nacht wie jede andere wird. Etwas müssen wir tun, um diesen Anlass zu würdigen.«
Sie aßen in einem zweifelhaften französischen Restaurant am Rande von Toledo. Colette, die natürlich Französisch sprach, wies auf die vielen Rechtschreibfehler in der Karte hin. Das Essen hatte offenbar einen ähnlichen Grad an Sorgfalt erfahren und war versalzen, wenn Silenus auch anmerkte, dass zumindest der Wein erträglich sei.
Ehe sie anfingen, brachte Silenus einen Toast auf George und Professor Tyburn aus und sprach dabei von dem Mann wie von einem gefallenen Kameraden. »Wenn es auch scheint, als wäre er von eigener Hand gestorben, wissen wir doch, dass es nicht so war«, sagte er. »Wenn überhaupt, wurde er vergiftet, doch diese Vergiftung traf seinen Geist und seine Seele, nicht seinen Körper. Ich will nicht behaupten, er sei perfekt gewesen, aber trotz seiner Fehler hat er seine Entscheidungen getroffen und sich stets bemüht, seine Rolle in der Welt, die sich vor seinen Augen entfaltet hat, so gut wie möglich zu erfüllen. Dafür müssen wir ihm Ehre erweisen: Ein Akteur zum Schweigen gebracht, eine Rolle nunmehr unausgefüllt und viele Zeilen, die unausgesprochen bleiben.«
Jeder murmelte seine eigenen Grußworte. Dann tranken sie gemeinsam und wandten sich dem Essen zu. Die Unterhaltung am Tisch verlief nicht sonderlich angenehm. Franny versuchte, Colette zu erzählen, was passiert war, zeigte sich dabei aber so unbeholfen und wirr wie eh und je, und Stanley nervte Silenus unentwegt mit kleinen Notizen, geschrieben auf Servietten.
»Ich sage es zum letzten Mal, nein!«, sagte Silenus verärgert. »Ich werde sie nicht einmal in Erwägung ziehen.«
Zufällig erhaschte George einen Blick auf Stanleys letzte Botschaft: SIE SIND DIE EINZIGEN, DIE UNS JETZT HELFEN KÖNNEN.
»Wenn sie bereit dazu sind. Aber sie werden mich viel lieber tot sehen wollen. Ich werde nicht einmal darüber nachdenken, Stan.«
»Über wen redet ihr?«, wollte George wissen.
»Das geht dich nichts an«, knurrte Silenus.
LEUTE, DIE HELFEN KÖNNEN, schrieb Stanley.
»Sind das … die Leute, über die ihr in deinem Büro gesprochen habt?«, fragte George. »Die, die dir den Turm gegeben haben?«
Stanley nickte.
»Ich würde mich nie an ihre Vertreter wenden«, sagte Silenus. »Nicht ohne ein Bestechungsgeschenk, das reicht, um auszubügeln, wie ich sie letztes Mal verlassen habe. Und es gibt so gut wie nichts, das dafür wertvoll genug ist. Außerdem wissen wir überhaupt nicht, was sie für uns tun könnten.«
»Na ja, ich denke, wenn man sie erst schmieren muss, gehören sie nicht zu der Sorte von Leuten, deren Hilfe wir uns wünschen können«, sagte George.
»Die halbe Welt lässt sich schmieren, Junge«, gab Silenus zurück. »Bestechungen, Drohungen und Lügen. Und es gibt nicht viel, was ich nicht tun
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