Silenus: Thriller (German Edition)
gut an?«
»Nichts, was du tust, fühlt sich gut an«, sagte sie. »Ich bin wütend auf dich.«
Die Bürste bewegte sich langsamer. »Wütend auf mich? Warum bist du wütend auf mich?«
»Das weiß ich nicht mehr. Aber da ist etwas.«
»Sei bitte nicht böse auf mich«, sagte er. »Es macht mir Kummer, wenn du wütend bist.«
Dann blickte Franny auf und sah George im Spiegel. Sie lächelte und sagte: »Hallo, Bill.«
Silenus hörte auf, sie zu bürsten, und starrte sie an. Obwohl er das Gesicht seines Vaters im Waschtischspiegel nur teilweise sehen konnte, erkannte George, dass er gerade sehr blass geworden war. »W-was hast du gesagt?«
Da winkte Franny George über den Spiegel zu, und Silenus drehte sich um und sah ihn in der Tür stehen. »George?«, fragte er. »Was machst du hier?«
»Das Gleiche könnte ich dich fragen«, entgegnete George. »Warum bürstest du ihr Haar?«
Silenus’ Miene verfinsterte sich, und obwohl George seinen Vater schon häufiger zornig gesehen hatte, war er ihm nie so bedrohlich erschienen wie jetzt. »Das geht dich nichts an, Junge«, giftete er. »Also, was willst du?«
»Ich … ich wollte wissen, ob ich vielleicht etwas zu trinken von dir bekommen kann«, stammelte George.
»Zu trinken? Was? Whiskey?«
George nickte.
Silenus deutete auf die Kommode. Dort stand gleich neben dem Hut seines Vaters eine halb geleerte Flasche. »Nimm sie. Ich brauche sie nicht. Und jetzt verschwinde verdammt noch mal von hier!«
George schnappte sich die Flasche und ergriff die Flucht. Er hatte seinen Vater schon früher erzürnt gesehen, aber so hatte er ihn noch nie erlebt. Es war, als würde Silenus es als entsetzliche Missachtung empfinden, dass George Zeuge dieses Moments geworden war.
Als er davonging, hörte er Franny sagen: »Da geht er wieder … ich habe ihn so lange nicht gesehen. Hast du Bill eigentlich gekannt?«
Und dann, mit einem leisen Beben in der Stimme, die Antwort seines Vaters: »Ja. Ja, meine Liebe. Ich glaube, ich kannte ihn einst.«
George fühlte sich so elend, sein einziger Trost bestand darin, über Colette nachzusinnen. Vielleicht, so dachte er, gab es eine Möglichkeit, den Schaden, den er angerichtet hatte, wieder gutzumachen. Irgendwann gegen Mitternacht dachte er sich eine große Geste aus, um sie zurückzugewinnen. Er wusste, er hatte es gründlich vermasselt, aber wenn er nun zu ihr ginge, überlegte er, wenn sie beide vor einer kolossalen Aufführung allein wären und er versuchte, ihr darzulegen, wie er ihr gegenüber wirklich empfand, vielleicht würde sie ihn dann verstehen.
Er kam gar nicht auf die Idee, dass seine Überlegungen etwas mit der fast leeren Flasche Bourbon neben seinem Bett zu tun haben könnten. Stattdessen fing er an, sich eine ausführliche Ansprache zurechtzulegen, eine, die sein gequältes Geständnis auf dem Dach in den Schatten stellen und die Liebe entflammen würde, die er, wie er es empfand, wahrlich verdiente.
Also schlüpfte er in seinen besten Tweed, trank noch ein letztes Glas Bourbon und schlich aus seinem Hotelzimmer. Die Gänge waren furchtbar dunkel und verwinkelt, und er irrte eine Weile umher und musterte blinzelnd die Zimmernummern, bis ihm erneut Colettes Parfüm in die Nase stieg.
Er folgte dem Duft zu einem der Zimmer. Zwar war er nicht sicher, ob es wirklich ihr Zimmer war, aber er dachte, es sei die beste Spur, die er hatte, also hob er eine Hand, um anzuklopfen, doch dann fiel ihm etwas auf: Er konnte sich nicht an die erste Zeile seiner Ansprache erinnern. Oder an die zweite oder dritte. Einen Moment kämpfte er mit sich, dann zog er sich in einen anderen Korridor zurück, um den Text noch einmal durchzugehen. Doch nun wirkte alles in seinem Kopf schrecklich verworren und verschachtelt und kompliziert, und er versuchte, die vielen amourösen Gelübde Stück für Stück zu entwirren.
Als George seine Rede neu sortiert hatte, machte er kehrt, um zu dem Zimmer zurückzugehen. Doch ehe er auch nur den ersten Schritt getan hatte, bewegte sich die Klinke, und die Tür glitt sehr langsam auf. George erstarrte und wich zurück, um zu sehen, was weiter geschah.
Jemand verließ das Zimmer. Es war nicht Colette, sondern eine kleine, dicke Person. Und nach dem Schnurrbart zu schließen, war es mit höchster Wahrscheinlichkeit ein Mann.
Verwirrt drückte sich George an die Wand des Korridors, als die Gestalt vorüberging. Der Mann hielt kurz inne, um seine Hose zurechtzuzupfen, seufzte und ließ ein wenig den
Weitere Kostenlose Bücher