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Silenus: Thriller (German Edition)

Silenus: Thriller (German Edition)

Titel: Silenus: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jackson Bennett
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vielleicht hatte sie sie schon ihr ganzes Leben mit sich herumgeschleppt, von Anfang an; vielleicht war sie schon immer den Hügel hinaufgestapft und hatte diese enorme Last bergan gestemmt, und dabei hatte sie nur auf die passende Gelegenheit gewartet, sie endlich abzulegen, eine Gelegenheit, die heute Nacht endlich gekommen war.
    Anne. Annie. Fran Marie Sillenes.
    Und was, wenn ich ihn fallen lasse, fragte sie sich. Was, wenn er mir aus den Fingern rutscht und den Hügel wieder hinabgleitet?
    Nun, dann, dachte sie, dann werde ich ihn einfach wieder auflesen und von vorn anfangen. Das dauert nur ein paar Minuten länger. Ein paar letzte Schritte in einer langen Reihe.
    Annie Fran Sillenes. Franny Beatty Sillenes. Franny Sillenes.
    Und während sie die schreckliche Bürde den Hügel hinaufzerrte, erkannte sie, dass sie Dinge sagte und sich auf Erinnerungen konzentrierte, die ihr vollends fremd waren. Warum skandierte sie diese Worte? Wessen Name war das? Und warum konzentrierte sie sich auf eine Handvoll Erinnerungsbruchstücke? Sie waren wie Geister von Geschehnissen, die durch ihr Bewusstsein trieben, ohne einen Bezug, ohne Zusammenhang, so, als hätte sie die Erinnerungen eines Fremden gestohlen … aber wenn sie auch nicht wusste, wer die Personen waren, von denen die Erinnerungen erzählten, glaubte sie doch, dass es schöne Erinnerungen waren, also beschloss sie, sich weiter auf sie zu konzentrieren, während sie das entsetzliche Gewicht schleppte, sich auf dieses fremde Mädchen (wie war noch ihr Name? War es Annie?) zu konzentrieren und auf seine Erinnerung und die Dinge, die es gesehen hatte.
    Sie erinnerte sich daran, wie das Mädchen ihm erstmals auf einem Volksfest begegnet war, diesem kleinen, grimmigen jungen Mann mit den alten Augen, und wie er jongliert und für die Menge gesungen und seine Nummer verpfuscht hatte, weil er sie ständig anschaute, unfähig, den Blick von ihr zu wenden. Und später, als er sich ihr genähert hatte, stolz und grinsend, hatte sie ihn gefragt, ob er aus der Gegend sei, und er hatte gesagt, nein, nein, ich bin von weit, weit her, wirklich sehr weit. Er hatte sich ihre Gunst mit einem ganz besonderen Schatz verdient: einem reifen, goldrosafarbenen Pfirsich, und als das Mädchen die flaumige Haut gestreichelt hatte (und er es mit leuchtenden Augen beobachtet hatte), fragte es ihn, woher er ihn hätte, und er grinste und zuckte mit den Schultern, und sie fragte, ob er aus seiner Heimatstadt käme, und da sagte er nein, nein, er komme von einem Ort, der noch viel weiter entfernt sei als der, an dem der Pfirsich gewachsen sei, und dieser Ort sei schon sehr weit entfernt. Und da hatte sie ratlos gelächelt.
    Sie erinnerte sich, dass das Mädchen nicht zum letzten Mal ratlos sein sollte, aber sie konnte sich nicht erinnern, wer dieser junge Mann war. Wie war sein Name? Woher kam die Erinnerung? Sie wusste es nicht.
    Fran Marie Sillenes. Annie. Anne Fran Sillenes.
    Sie erinnerte sich, dass das Mädchen und der junge Mann in Eisenbahnen reisen würden. Das Mädchen säße am Fenster, um das Land vorüberrasen zu sehen, während er den Kopf in ihren Schoß betten würde wie ein Schuljunge, und es geschah auf einer dieser Reisen, dass er ihr erzählte, er wäre sein ganzes Leben lang gereist, doch wenn sie bei ihm wäre, fühle es sich an, als stünde er still. Und er hatte in seine Tasche gegriffen und ein kleines Kästchen hervorgeholt, und das Herz des Mädchens hatte wie wild zu flattern begonnen, und er hatte gesagt, er wolle für immer stillstehen, ganz gleich wo, wenn du nur mit mir kommst, Annie, würdest du mit mir zu den fernen Orten am Ende des Himmels gehen und das Heim mitbringen, das ich in deinem Herzen gefunden habe, und er hatte das Kästlein geöffnet, und drinnen hatte ein kleiner, silberner Ring mit vielen zarten Gravuren gelegen, und sie hatte ihn angesehen, und er hatte geweint, und sie hatte Ja gesagt, ja, ja, für immer ja, ich will bei dir sein, ich will dein sein.
    Hatte das Mädchen ihn geliebt? Hatte er sie geliebt? Sie hoffte es. Es wäre so nett, wenn die beiden einander geliebt hätten …
    Fran. Franny. Fran Beatty. Franny Marie Beatty. Woher kenne ich diese Namen?
    Und sie erinnerte sich an einen Tag, an dem das Mädchen und der Mann wieder auf Reisen waren. Der junge Mann hatte seine Truppe zur nächsten Stadt geführt und gesagt, er täte das schon seit langer, langer Zeit, aber nun, da er sie gefunden hatte, hätte er das Gefühl, er könnte

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