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Silenus: Thriller (German Edition)

Silenus: Thriller (German Edition)

Titel: Silenus: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jackson Bennett
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härtesten Eisen und Stahl erbaut. Er ist so aufgebaut, dass er sein Gewicht gleichmäßig auf den Boden bringt, nicht kippt, nie aus dem Gleichgewicht gerät und seine kostbare Fracht schnell, sicher und effizient transportiert. Er ist auf keinen Fall dazu gedacht, sich aus dem Gleis zu erheben, für das er erbaut wurde, nicht um einen Zoll, nicht einmal um einen Millimeter.
    Doch in dieser Nacht, begleitet von dem heftigen Kreischen und Rasseln sich windenden Metalls, von Staub und Kiefernnadeln und Kiefernzapfen, die kaskadenartig vom Dach des Waggons herabsausten, hob Anne Sillenes ihn langsam, quälend langsam hoch und balancierte sein Gewicht auf ihren Schultern.
    Sie zitterte heftig, und ihr Atem kam in schnellen, panischen Stößen. Ihr Körper konnte nicht einmal annähernd normal funktionieren, solange er solch ein enormes Gewicht zu tragen hatte, doch die Mächte, die sie am Leben hielten, wurden von der Anstrengung nicht beeinträchtigt, zumindest noch nicht. Als der Wagen immer höher und höher emporstieg und sie mehr und mehr von dem sah, was vor ihr lag, hätte sie vor lauter Staunen und Freude beinahe die Konzentration verloren. Doch dann sah sie den Hügel vor sich mit all den vielen Bäumen und den felsigen Abschnitten, und ihr Ziel lag ganz oben auf dem Gipfel dieser kleinen Anhöhe, die sich am Rande des Tals an ein Ende des Damms anschloss und der ganzen Konstruktion Halt gab.
    »Oh Gott«, keuchte sie. »Oh Gott, das ist so weit …«
    Aber sie wusste, sie hatte keine Wahl. Und es war doch nur ein kurzes Stück, sagte sie sich im Stillen. Sie war in ihrem Leben so weit gereist. Das hier waren nur noch ein paar zusätzliche Schritte.
    Und sie wusste, dass dies der gefährliche Teil war. Den Waggon anzuheben, war eine Sache, aber mit ihm zu gehen, war etwas ganz anderes. Jeder Schritt würde einen gefährlichen Moment beinhalten, in dem sie das ganze Gewicht des Waggons auf einem Bein balancieren musste, während das andere vorwärts ausschritt, und sie war nicht sicher, ob sie sich würde aufrecht halten können. Außerdem wusste sie nicht, ob sie den Eisenbahnwaggon überhaupt ziehen konnte. Bisher hatte sie die Räder noch nicht von den Schienen geholt, und sie wusste nicht, ob sie in der weichen Erde funktionieren würden.
    Sie stemmte sich langsam voran. Das Zittern wurde stärker, und sie versuchte, das Prickeln in ihrem Hals zu ignorieren, das von einer Flüssigkeit ausgelöst wurde, die an ihm herabrann. Dann aber ertönte hinter ihr ein lautes Schnappen, als die Räder aus dem Gleis brachen, und dann noch eines, und sie stolperte voran, einen Fuß vorn, den anderen hinten.
    Sie hatte es geschafft. Sie konnte sich fortbewegen. Sie schluckte und stemmte sich wieder voran. Tat einen Schritt, dann noch einen und dann noch einen. Sie wusste es nicht, denn sie konnte nicht hinter sich sehen, aber die Räder rollten nicht mit, sondern gruben tiefe Furchen in die Erde. Aber das war egal: Trotz des Widerstands konnte sie den Waggon voranstemmen.
    Plötzlich fragte sie sich, was sie da eigentlich tat. Sie hatte solche Schmerzen  … Warum trug sie so ein gewaltiges Gewicht? Warum wollte sie das Ding den Hügel raufschleifen?
    Sie wusste es nicht, aber sie wusste, dass sie weitermachen musste. Sie musste diesen Eisenbahnwaggon aus irgendeinem Grund, der von größter Wichtigkeit war, auf den Gipfel der Anhöhe schaffen. Und dann fiel ihr auf, dass sie die ganze Zeit etwas vor sich hin flüsterte: »Anne Marie Sillenes. Du bist Anne Marie Sillenes …«
    Jeder Zoll war ein Kampf, jeder Schritt ein ganzer Krieg. Sie fühlte Blut über ihren Rücken rinnen. Es troff aus einer Wunde, die die Achse in ihre Schultern getrieben hatte, doch sie achtete nicht weiter darauf. Ihre Nackenwirbel waren pulverisiert, aber die Symbole, die über ihnen prangten, hörten nicht auf zu funktionieren und hielten ihren Kopf hoch. Etwas war mit ihrem Knie passiert, etwas, das sich feucht anfühlte, und sie glaubte, die Kniescheibe wäre herausgeplatzt und triebe in einer Flüssigkeit, doch auch darauf achtete sie nicht, sondern stemmte sich nur immer weiter den Hang hinauf.
    Manchmal erinnerte sie sich, warum sie das tat. Manchmal nicht, aber sie rackerte achtlos weiter.
    Anne Marie Sillenes. Annie. Anne Sillenes …
    Und während sie den Waggon den mondbeschienenen Hügel hinaufschleppte, Steine und Wurzeln zermalmte und bei jedem Schritt ins Wanken geriet, dachte sie schließlich, dass diese Last gar nicht neu war;

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