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Silenus: Thriller (German Edition)

Silenus: Thriller (German Edition)

Titel: Silenus: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jackson Bennett
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bekommen, und sein linkes Auge war so stark angeschwollen, dass sein schiefer Blick hässlicher war denn je. George sah Stanley an, denn er war der Einzige, der dafür verantwortlich sein konnte, doch der lieferte ihm keine Erklärung.
    »Setz dich«, sagte Silenus. Dann, nach kurzem Nachdenken, fügte er hinzu: »Bitte.«
    George tat, wie ihm geheißen. Seine Teetasse stand noch neben dem Stuhl, aber der Tee war inzwischen kalt. Silenus suchte nach Worten, und das Ticken der großen Uhr machte die Stille immer schwerer.
    Endlich fragte Silenus: »Wie ist sie gestorben?«
    »Meine Mutter?«, entgegnete George.
    Silenus nickte. Noch immer sah er ihm nicht in die Augen.
    »Bei meiner Geburt«, sagte George.
    »Du hast sie gar nicht kennengelernt? Überhaupt nicht?«
    »Nein. Ich wurde von meiner Großmutter aufgezogen. Ganz allein.« Kurze Pause. »Erinnern Sie sich jetzt an sie?«
    Silenus nickte wieder. »Es ist sehr lange her.« Er sank tiefer auf seinem Stuhl, so, als würde ihm diese Neuigkeit eine große Last aufbürden. Gedankenverloren rieb er sich die Schläfe, zog aber, als sein Auge mit Schmerz reagierte, die Hand weg und rieb sich stattdessen die Nase. »Und deine Großmutter hat dir erzählt, dass ich derjenige bin?«
    »Ihr ist versehentlich etwas rausgerutscht, als Sie Rinton verlassen haben. Ich habe ihr so lange Fragen gestellt, bis sie mir alles erzählt hat. Sie hat gesagt, sie wüsste, dass es jemand aus Ihrer Truppe war. Dann hat sie herumgesucht und ein Foto von Ihnen in einer Zeitung gefunden.«
    Silenus legte die Fingerspitzen aneinander. »Und du hast die Ähnlichkeit gesehen.«
    »Ja.«
    Er lachte kläglich und schüttelte den Kopf. »Wenn ich das gewusst hätte. Wenn ich nur gewusst hätte, dass du, tja …«
    »Sagen Sie mir nicht, Sie wären meinetwegen zurückgekommen«, sagte George.
    Erschrocken starrte Silenus ihn an. »Natürlich wäre ich deinetwegen zurückgekommen.«
    »Warum? Warum hätten Sie das tun sollen?«
    »Nun ja … ich habe dir von meiner Abstammungslinie erzählt … wir sind wertvolle Wesen, du und ich.«
    »Also nicht, weil du einen Sohn gewollt hättest«, fauchte George. »Und auch nicht, weil dir etwas an meiner Familie gelegen hätte, an mir oder meiner Mutter.«
    Daraufhin schwieg Silenus. Stanley schüttelte nur den Kopf. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, sagte Silenus schließlich. »Ich weiß überhaupt nichts über all das. Du musst mir ein wenig Zeit geben, Junge. Ich habe das alles erst in der letzten Stunde erfahren.«
    »Ich trage es schon mein ganzes Leben lang mit mir herum«, gab George zurück. »Es hat meine Familie ruiniert, weißt du? Meine Großmutter hat es beinahe umgebracht. Weißt du, wie das ist? Wenn man so etwas jeden Tag mit sich herumschleppen muss?«
    Silenus lachte, doch auch jetzt lag keine Spur von Humor in seinem Lachen. »Bedauerlicherweise haben du und ich in diesem Punkt etwas gemeinsam, denn das ist ein Gefühl, das ich nur zu gut kenne.«
    »Ich scherze nicht«, sagte George.
    »Ich auch nicht.«
    Wieder trat Schweigen ein. Stanley schaute zwischen den beiden hin und her. Die Sterne hinter dem Fenster schienen sich zu bewegen und herumzuschießen, als wollten sie irgendwelche Botschaften buchstabieren.
    »Du denkst, ich mag dich nicht«, bemerkte Silenus plötzlich.
    George blinzelte. Dass Silenus sich auch nur theoretisch damit auseinandersetzen könnte, andere Menschen zu mögen , konnte er sich kaum vorstellen.
    »Du denkst, ich mache mir nichts aus dir«, fuhr Silenus fort. »Du denkst, dass ich dich nicht will oder dich ablehne. Dass ich dich als Fehler betrachte, als klein und jämmerlich. Habe ich recht?«
    George war so getroffen, er brachte keinen Ton heraus. Er nickte nur.
    »Das ist nicht der Fall«, sagte Silenus. »Ganz ehrlich, George, ich weiß einfach nicht, was ich von dir halten soll. Du hast aus eigenem Antrieb mit sechzehn dein Zuhause verlassen und es mit nichts als Talent und Sturheit geschafft, weit genug in den Keith-Albee-Circuit vorzudringen, um mich aufzuspüren. Und die ganze Zeit musstest du Gefahren und Bedrohungen aus dem Weg gehen, von denen du, da bin ich sicher, keine Vorstellung hast. Du hast dir im Inneren eines Gewerbes, das berüchtigt dafür ist, Außenstehenden gegenüber unzugänglich, ja, feindselig zu sein, ein neues Zuhause geschaffen. Und dabei hast du unentwegt etwas sehr Kostbares, sehr Gefährliches und sehr Schweres mit dir herumgetragen. Ist dir nicht klar, George, dass

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