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Silenus: Thriller (German Edition)

Silenus: Thriller (German Edition)

Titel: Silenus: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jackson Bennett
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dir gesagt. Ich habe es dir gesagt.«
    Ihr ursprünglicher Groll verwandelte sich in Mitleid, als sie erkannte, wie sehr George das Reisen mitnahm. Solange sie sicher war, dass er gut mit dem Orchester zusammenarbeiten würde, ließ sie ihn in einer der Garderoben schlafen und deckte ihn, wenn Silenus nach ihm fragte. Aus irgendeinem Grund war sie froh, einen Grund zu haben, sich mit Harry anzulegen: Die beiden schienen häufig über die eine oder andere geschäftliche Angelegenheit zu streiten. Stets zogen sie sich dann in einen verlassenen Korridor zurück, um einander in gedämpftem Ton lange Predigten zu halten, oder sie zankten sich auf dem ganzen Weg zurück zu seinem Büro. Aber so dankbar George für ihre Hilfe und ihre Freundschaft war, blieb seine immer stärker werdende Zuneigung zu ihr unerwidert. Wann immer sie ihn aus einem Nickerchen weckte oder sich um ihn kümmerte, wenn er ermattet war, war stets eine Distanziertheit spürbar, und es widerstrebte ihr, ihn zu berühren. Jeder Moment mit ihr war flüchtig und enttäuschend, und bald bereitete ihm ihre bloße Gegenwart einen dumpfen Schmerz im Kern seines Seins.
    Franny war eine der wenigen Angehörigen der Truppe, auf die die allgegenwärtige Lustlosigkeit des Februars keine Wirkung zeigte. Stattdessen schien sie durch die Offenbarung von Georges Herkunft sonderbar gestärkt zu sein. Doch George brauchte eine Weile, bis ihm klar wurde, dass sie keineswegs glücklich war, sondern wütend, und ganz besonders wütend war sie auf Silenus. Aus irgendeinem Grund konnte sie ihm die Unkenntnis um sein einziges Kind nicht vergeben. Sie war so wütend, dass sie nach einer Probe nicht aufpasste und sich den bandagierten Ärmel an einer scharfen Kante einer Eisenstange aufriss. Als der Riss aufklaffte, sah George erneut die schwarze Schrift auf ihrer Haut, doch nun erkannte er, dass es keine Schrift war, sondern eine Zeichnung, ein erstaunlich kompliziertes Muster aus Schlingen und Wirbeln und spinnwebartigen Linien, das ihren ganzen Arm bedeckte.
    Ehe er es genauer betrachten konnte, trat Silenus vor. George hatte so gut wie nie erlebt, dass er irgendjemandem Zärtlichkeit erwies, umso weniger Franny, doch nun nahm er sanft ihre Hand, zog ihren Ärmel herab und sagte: »Du hättest dich beinahe verletzt, meine Liebe.« Aber Franny entriss ihm ihre Hand, deckte den Riss ab und stolzierte davon, ein Verhalten, das Silenus ernsthaft zu treffen schien. »Was meint sie nur, was ich ihr getan habe?«, fragte er. Aber George sah nur zu, wie die starke Frau davonlief, und fragte sich, was wohl unter all diesen Verbänden und Tüchern verborgen war.
    Und wenn es George auch schlecht erging, waren seine Probleme doch nichts im Vergleich zu denen von Kingsley, mit dem es von Tag zu Tag immer weiter bergab ging. Irgendwie schaffte es Kingsley trotzdem, jeden Abend aufzutreten. Dann schlurfte er hinter dem Vorhang hervor, humpelnd und zur Seite gebeugt, und nahm seinen Platz ein; und wenn er hörte, wie Silenus ihn ankündigte, dann richtete er sich auf, nahm Haltung an und spielte, als litte er kein Leid. Doch kaum war der Vorhang gefallen, sackte er wieder in sich zusammen. Manchmal wimmerte er dann, und er musste mehrere Male tief durchatmen, ehe er wieder auf seinen Beinen stehen konnte.
    Sein Zustand machte allen zu schaffen. Kingsley verweigerte eine medizinische Behandlung und sagte, er ziehe seine eigenen Heilmittel vor, auch wenn er nie verriet, um was es sich dabei handelte.
    George wusste nicht recht, wie die Truppe so lange hatte durchhalten können, und er konnte sich nicht vorstellen, dass sie noch viel länger Bestand haben würde. Es schien, als müsste sie jeden Moment auseinanderbrechen. Und wie viel weiter würden sie gehen, wenn sie könnten? Sein Vater hatte nie einen konkreten Schlusspunkt für ihre edle Mission genannt. Wann würden sie je fertig sein?
    Das Einzige, was George von all den Problemen ablenkte, war das Stück der Ersten Weise, das er in sich trug. Nun, da er wusste, dass es da war, fühlte er allmählich, wie es auf die Dinge um ihn herum reagierte, wie es im Flüstern des Regens erbebte oder mit einem starken Wind mitschwang. Es wollte etwas, das fühlte er. Und langsam hegte er den Verdacht, es wollte ganz sein.
    Nach vielen Wochen auf Reisen wusste er immer noch nicht genau, wie Silenus und Stanley sich die Stücke der Weise beschafften. Ungefähr einmal in der Woche verschwanden sie mit dem Überseekoffer und kehrten so müde und

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