Silicon Jungle
geschehen war, hielt keines einer genaueren Überprüfung stand – bis auf eines.
Stephen hatte gewusst, dass sie auf der Liste stand, weil er die Liste selbst erstellt hatte. Dass Stephen heute nicht bei ihr war, deutete untrüglich darauf hin, dass das, was er herausgefunden hatte, Hand und Fuß besaß. Stephen wusste vermutlich alles über diese Leute – wusste, wer sie waren, wo sie wohnten, kannte ihre Freunde, hatte ihre E -Mails gelesen. Wie konnten sie ihn da je wieder freilassen?
Sie las noch einmal die E -Mails, die sie an dem Abend bei Ubatoo ausgedruckt hatte, die Schilderungen von GR.Zadeh und Tarik78. Als Sahim nahm sie zu beiden Kontakt auf. Sie schrieb ihnen von ihren Hypothesen und bat sie um ihre Meinung. Tarik78 reagierte als Erster. Er äußerte sich durchdacht und unparteiisch zu ihren Spekulationen und bestätigte am Ende seiner E-Mail, dass sie mit ihren Theorien wahrscheinlich richtig lag.
SAHIM
19. August 2009.
Wem sollte sie das alles erzählen? Wer würde ihr glauben? Molly wandte sich an das einzige Forum, das in Frage kam. Sie postete eine Nachricht auf EasternDiscussions.
Brüder,
habt ihr die Nachrichten verfolgt? Wie es aussieht, ist alle Welt mehr denn je überzeugt, dass von Ubatoo über eine undichte Stelle Informationen an Terrorgruppen geflossen sind. Absurd. Glaubt das nicht. Ich habe viele Freunde, die den Beschuldigten, Stephen, kennen, und sie alle sind einstimmig der Meinung, dass die Vorwürfe und Anschuldigungen nichts als Lügen sind.
Ihr fragt Euch vielleicht: Was steckt dahinter? Darauf möchte ich Euch mit einer Gegenfrage antworten: Welche staatliche Sicherheitsbehörde würde nicht gern wissen wollen, was Ubatoo weiß? Würde nicht gern die E-Mails lesen, die wir geschrieben haben, und etwas über unsere Freundeskreise erfahren? Wie könnten sie diese Informationen glaubhafter einfordern als unter dem Vorwand der Terrorabwehr? Ihr alle, die ihr für Frieden betet, solltet auch dafür beten, dass Ubatoos Daten aufgrund dieser Sache nicht in die falschen Hände geraten. Führt euch vor Augen, wie all das, was Ubatoo über uns weiß, von unseren Feinden gegen uns eingesetzt werden kann. Nein, es ist in unser aller Interesse, wenn diese Büchse der Pandora geschlossen bleibt.
Stephen wird derzeit vom FBI festgehalten. Ich fürchte, er wird nicht der Letzte sein, der unter diesem neusten Versuch »unserer« Regierung, sich in jeden Bereich unseres Lebens einzuschleichen, zu leiden hat. Wie weit werden sie als Nächstes gehen?
Sagt mir, was sollen wir jetzt tun?
– Sahim
Fünf Minuten später hatte sie eine Antwort. Eine Stunde später waren es zwanzig und drei Stunden später weit über fünfhundert. Ubatoos Indiskretionen sollten das Fortbestehen von EasternDiscussions über Monate sichern. Denn Sahim schien in seinen Posts stets mehr über Ubatoo zu wissen als die Presse. Die Besucher kamen immer wieder und lockten noch mehr Besucher an, die sich über die neusten Nachrichten ereiferten und Sahims kluge Kommentare lesen wollten.
Molly hatte ihren Lesern die Augen geöffnet für eine alternative, wenn auch tückische Deutung der Ereignisse. Hunderte Menschen diskutierten auf ihrer Website leidenschaftlich über Ubatoos Datenmengen und wie sie diese für ihre eigenen Zwecke nutzen könnten. Für viele wurde Stephen zu einem Vorbild. Im folgenden Jahr sollten sich Tausende Möchtegern-Stephens um ein Praktikum bei Ubatoo bewerben. Die Zahl der Bewerber sollte auf den bisher höchsten Stand anschwellen.
28. August 2009.
Molly sah Stephens Gesicht zum ersten Mal wieder auf einem alten Foto, das am 28. August 2009 im Fernsehen gezeigt wurde. Sebastins Leiche war in einem Hotelzimmer neunzig Meilen von Las Vegas entfernt gefunden worden, offenbar nur wenige Stunden nachdem er exekutiert worden war. Die einzige Spur war eine Kellnerin, die behauptete, ihn zuletzt mit einem »verdächtigen, ausländisch aussehenden Mann« gesehen zu haben. Sebastins Leben und Tod wurden in den Medien breitgetreten, doch das eigentlich Interessante, an wen er die Daten ursprünglich hatte verkaufen wollen und wer der tatsächliche Käufer gewesen war, kam nicht ans Tageslicht. Sämtliche Informationen, falls bekannt, wurden aus Gründen der nationalen Sicherheit unterschlagen.
Es sollte über ein Monat vergehen, bis Molly einen Brief von Stephen im Briefkasten fand. Sie hatte nie zuvor seine Handschrift gesehen, und der
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