Silicon Jungle
Aarti, »aber wie du bestimmt als Nächstes sagen wirst, Stephen« – das ließ Stephen aufhorchen, denn er hatte gar nichts sagen wollen – »ist die Gruppe von Leuten, die unseren Kalender benutzen, ziemlich klein im Vergleich zu den Leuten, über die Ubatoo Profile besitzt, stimmt’s?« Aarti hielt inne, doch nur um Atem zu holen. »An der Stelle erwiesen sich die Profile, die William letzte Nacht von bestimmten Online-Foren erstellt hat, als sehr hilfreich. Bei den Leuten, die Termine bei Fachärzten für Ernährung vereinbart hatten, haben wir untersucht, mit wem sie am häufigsten telefonieren oder wem sie die meisten E -Mails schicken und welchen Selbsthilfegruppen sie beitreten. Wenn jemand aus dem Freundeskreis auch einen Arzttermin hatte, dann haben sie sich vermutlich über ihr Problem ausgetauscht. Da fällt mir ein, all die Leute, von denen wir nun wissen, dass Freunde von ihnen ebenfalls Termine bei Ernährungsfachärzten hatten, wären doch super Zielkunden für …«
»Es haut auch so wunderbar hin«, fiel William ihr ungeduldig ins Wort.
»Okay, okay«, schaltete Jaan sich ein. Er erkannte den Reh-im-Scheinwerferlicht-Blick bei Stephen und Kohan. »Das ist fantastisch. Aber eins nach dem anderen. Zunächst lassen wir eure Ergebnisse von Indien mit jedem Einzelnen unserer User abgleichen. Ich bin sicher, wir fördern ein paar ausgezeichnete Zielkunden zutage. Im Laufe des Tages machen wir unsere ersten echten Probeläufe. Wenn dann noch immer alles gut aussieht, lasse ich ein paar Beziehungen spielen und setze mich dafür ein, dass wir uns den Rest der Tests ersparen können – soll heißen, wir könnten schon morgen eine komplette Verteilung starten. Aber Leute, nicht vergessen, das hier ist ein Marathon, kein Sprint. Ein so rascher Erfolg ist toll, aber es warten noch jede Menge schwierige Probleme auf uns. Es ist erst unser zweiter Tag.« Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Also, gut gemacht … Ihr alle.«
Kaum saßen sie alle wieder an ihren Schreibtischen, rief Jaan Aarti und William zu sich. Als er mit den beiden davonging, war noch zu hören, dass er »Zeit für ein persönliches Gespräch« und »ihre Ergebnisse Atiq unterbreiten« sagte. Becky, Atiqs Assistentin, führte die drei in das leere Büro des Projektleiters. Dort war bereits eine Videokonferenz mit Atiq vorbereitet, der die gute Nachricht kaum erwarten konnte.
DAS INNENLEBEN EINES PRAKTIKANTEN
5. Juni 2009.
Zwei dicke Briefumschläge schafften es über den meilenlangen hausinternen Postweg auf die Schreibtische von Aarti und William. Auf den Umschlägen prangten stolz und unübersehbar das Ubatoo-Logo und die Worte »Willkommen an Bord«. Aarti und William waren einen Tag nachdem ihr Diätpillen-Projekt offiziell als erfolgreich bewertet worden war, fest eingestellt worden. Werbeanzeigen mit Slogans wie »Wunderpillen«, »Diät des Jahres« und »Fettverbrennung ohne Sport« erreichten die empfänglichsten demografischen Gruppen schneller denn je, und das sorgsam anvisierte Publikum kaufte alles, was auf den Markt kam, mit neuer Hoffnung. Die Werbekunden waren entzückt.
Noch ehe sie dazu gekommen waren, ihre Sachen im Praktikantenbereich auszupacken, saßen Aarti und William auch schon jeder in einem eigenen Büro in der Nähe von Jaan. Ob dieser Karrieresprung widerspiegelte, wie beeindruckend ihre Arbeit gewesen war oder wie verzweifelt Atiq neue Leute brauchte, war nicht klar. Doch an einer Sache war nicht zu rütteln: Sie hatten schon in der ersten Woche das geschafft, wofür sich die anderen Praktikanten den Rest des Sommers würden abrackern müssen.
Jedes Mal, wenn Stephen Gebäude 11 betrat, schielte er unweigerlich in die Büros, an denen er vorbeikam, in der Hoffnung, dass einer von denen, die darin saßen, per Zufall genau im richtigen Moment aufblicken und ihn in ein Gespräch über sein aktuelles Projekt verwickeln oder sich sogar nach Stephens Vorhaben erkundigen würde. Aber das passierte nicht. Aarti sprach nur mit Stephen, wenn sie etwas von ihm brauchte, Jaan kommunizierte nur per E -Mail mit ihm und William – den ließ man ohnehin besser in Ruhe in seinem Büro.
Einmal davon abgesehen, dass es an Kommunikation mit den Dreien mangelte, hatte Stephen kaum Grund, sich zu beklagen. Zum Ausgleich dafür, dass man sein Denkvermögen restlos ausschöpfte, wurde er rund um die Uhr bestens versorgt. Ein typischer Tagesablauf wich nur wenig vom Tag davor oder danach ab und gestaltete sich wie
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