Silicon Jungle
folgt:
8.00-8.30
aufstehen
8.30-8.45
Fußweg zu Ubatoo
8.45-9.15
Omelette, Cappuccino oder frischen Smoothie auf dem Weg zum Schreibtisch holen
9.15-11.45
arbeiten
11.45-12.00
Gruppe von anderen Praktikanten fragen, ob sie mit zum Lunch gehen, und darüber diskutieren, welches Café man ausprobieren soll
12.00-13.15
Lunch
mindestens zweimal die Woche Sushi
Hummer, falls empfohlen
Kalbfleisch, falls auf der Speisekarte
13.15-13.30
zu einem Cappuccinostand gehen, der möglichst weit weg ist, um ein bisschen Bewegung zu haben
13.30-14.00
E-Mail-Austausch/chatten mit anderen Praktikanten über die Arbeit
14.00-15.00
Besprechung mit Data-Mining-Team, um sich gegenseitig auf den neusten Stand zu bringen
15.00-17.30
arbeiten
17.30-18.45
Abendessen (immer ein anderes Café als das, wo zu Mittag gegessen wurde)
18.45-20.30
abhängen
20.30-24.00
arbeiten
24.00-01.00
mit Kohan und anderen Praktikanten, die Lust haben mitzukommen, nach draußen gehen
1.00-2.15
Snack und Kaffee bei der Arbeit am Schreibtisch
2.15-2.30
Heimweg
2.30-3.15
Zeit mit Molly
3.15-8.00
schlafen
Meetings mitgerechnet wurde über elf Stunden am Tag konzentriert gearbeitet. Nicht dass Ubatoo dieses Pensum abverlangte, auf Wunsch gab es reichlich Möglichkeiten zur Zerstreuung. Nur wenige Wochen nach Beginn der Praktikumssaison fand auf einem tadellos gepflegten Platz auf dem Firmengelände das jährliche Baseballspiel zwischen Praktikanten und Angestellten statt. Als Kohan und Aarti mit den anderen losgingen, versprach Stephen, nachzukommen. Er wusste aber, dass er das nicht tun würde. Derlei Veranstaltungen erinnerten ihn allzu sehr an eine dreitägige All-inclusive-Kreuzfahrt für Senioren mit munteren, hohlen, übereifrigen Animateuren, die einen gnadenlos zwingen, sich zu amüsieren. Und da er die letzten zweieinhalb Jahre einen allzu bequemen, allzu lauen Job gehabt hatte – war das Bedürfnis, sich zu entspannen, bei ihm nicht sehr ausgeprägt.
Ein Eintrag, der in dem Tagesplan auffällig fehlte, war Jaan. Er sprach nach der ersten Woche nur selten mit den Praktikanten. Die E-Mails, die Jaan alle paar Tage verschickte, waren knapp gefasst: Name, Kontaktdaten und die erforderlichen Hintergrundinformationen über den neusten Werbekunden, der Hilfe brauchte. Stephens Aufgabe war es, sich zu überlegen, wie sich die Werbekampagnen des Kunden verbessern ließen – genau das, was Aarti und William in ihren ersten Tagen getan hatten. Wenn es nicht um Diätpillen ging, so ging es um Fitnessgeräte, Anwälte, Videospiele, Filme, Banken, Flugtickets, Süßigkeiten und so weiter und so fort. Um was für ein Produkt es sich auch handelte, es wurde bei Ubatoo beworben.
Sobald neue Werbekunden erfuhren, dass der für sie zuständige Ansprechpartner »bloß ein Praktikant« war, spulten sie eine ganze Latte von Projekten ab, die er umgehend erledigen sollte. Doch die fünf Minuten, die sich irgendein Manager der mittleren Ebene Gedanken über eine Marketingkampagne machte, nachdem sein Boss ihn als schlampig zusammengestaucht hatte, reichten nicht annähernd an die konzentrierte Arbeit heran, mit der Stephen ermittelte, welche Informationen sich in den Rohdaten des Unternehmens versteckten und wie sie ihnen am besten zu entlocken waren. Noch ehe das erste Gespräch beendet war, hatte jeder vergessen, dass er »bloß mit einem Praktikanten« sprach. Vielmehr machten die meisten innerlich drei Kreuze, dass Stephen kein Konkurrent um ihren Job war.
Diese Arbeit war leicht, aber Langeweile kam nie auf. Stephen investierte mehr Zeit, als selbst von einem Ubatoo-Praktikanten erwartet wurde, um Wege zu finden, wie sich Ubatoos umfangreiche Infrastruktur und die verfügbare Rechenleistung effektiv für die Zwecke der Kunden einsetzen ließen. Er gehörte auch zu den wenigen Praktikanten, die allmählich erkannten, was mit all den Daten möglich war, die Ubatoo angesammelt hatte. Niemand setzte Stephen bei dem, was er tat, irgendwelche Grenzen; die Daten, die Mittel, das Wissen standen jedem uneingeschränkt zur Verfügung.
All das spielte sich in Ubatoos Kokon ab. Womit auch immer die Mitarbeiter ihre Zeit verbringen wollten – mit Arbeiten, Spielen, Lernen, Essen oder Entspannen –, sie mussten dazu nicht das Firmengelände verlassen. Vom Moment des Aufwachens bis zum Moment des Einschlafens war Stephen mit den Gedanken bei der Arbeit. Ubatoo hatte noch nicht von seiner Seele Besitz ergriffen, aber von seinem Verstand und seinem ermatteten Körper allemal.
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