Silicon Jungle
schrieb einem Mann, der einen ausgesprochen vertrauenswürdigen Eindruck machte und in Los Angeles lebte, wo sie immer schon mal hinwollte. Es war eine kurze E -Mail, kaum mehr als »womit soll ich anfangen?« und »Glückwunsch, Sie machen mir Mut«.
Sie meldete sich zu dem Diätprogramm an, auf das der Mann schwor, benutzte sogar einen Online-Kalender für die Planung ihrer täglichen Mahlzeiten. Der Mann riet ihr dringend, sich bei einem Arzt, einem Ernährungsspezialisten, zu erkundigen, ob diese Diät auch die richtige für sie war. Guter Tipp, dachte sie. Sie gab die Begriffe »Ernährungsspezialist« und »Arzt« in die Suchmaschine ein. Der erste Treffer war ein Arzt in ihrer Nähe. Sie müsste nicht mal weit fahren. Sie vereinbarte einen Termin und trug ihn in ihren Online-Kalender ein, damit sie ihn nicht vergaß. Sie war bereit. Es konnte losgehen.
So sehr er sich auch bemühte, nicht vor halb elf zur Arbeit zu erscheinen, war Stephen schon um viertel nach zehn im Gebäude 11. Der Praktikantenbereich war gut gefüllt. Über drei Viertel der Tische waren besetzt. Die Praktikanten, die nicht zur Data-Mining-Gruppe gehörten, starrten gedankenverloren auf ihre Bildschirme oder unterhielten sich mit gedämpften Stimmen. Sie hatten noch nichts zu tun, außer auf ihren nächsten Orientierungskurs zu warten.
Die vier Data-Mining-Praktikanten dagegen befanden sich in einem völlig anderen Geisteszustand. Sie kontrollierten eifrig ihre Arbeit von letzter Nacht. Als Jaan um halb elf auftauchte, rief er sie in den Konferenzraum Despereaux . Aarti und William saßen nebeneinander und führten sich auf wie alberne Schulmädchen, wenn sie über Jungs tuscheln. Aarti sah müde aus, aber William sah aus wie ausgekotzt. Er hatte Kaffeeflecken auf dem Hemd und auf der Hose, seine Augen waren blutunterlaufen und das Haar stand ihm in fettigen Büscheln zu Berge, weil er anscheinend stundenlang darin gewühlt hatte. Zu allem Übel roch er auch noch so schlimm, wie er aussah.
»Also, wollt ihr den anderen erzählen, was gestern Nacht passiert ist?«, sagte Jaan vom Kopfende des Tisches aus. »Oder soll ich das lieber machen?«
William ergriff flugs das Wort. »Aarti und ich haben die Nacht hier mit Jaan verbracht. Ich glaube, wir haben was echt Hammermäßiges rausgefunden. Es geht nicht bloß um die Online-Foren, wie wir die ganze Zeit gedacht haben. Es geht darum, was die Leute machen, wenn sie nicht online sind.«
Aarti schaltete sich ein. »Die Leute, die sich am dringendsten Hilfe bei ihren Gewichtsproblemen wünschen, das sind die, die wir wollen. Die kaufen nämlich die Diätpillen, richtig? Wir müssen also die Verzweifelten finden, nicht bloß die Plauderer in den Foren. Da könnte es eine Wechselbeziehung geben, klar, aber das können wir besser. Wir mussten uns bloß …«
»… ihre Kalender ansehen«, übernahm William wieder. »Wenn du einen Arzttermin vereinbarst, um etwas gegen dein Problem zu unternehmen, heißt das nicht auch, dass du wahrscheinlich alles tun würdest, was dir helfen könnte, zum Beispiel die neusten Pillen kaufen?«
»Wie habt ihr rausgefunden, was in ihren Kalendern steht?«, fragte Stephen.
»Ubatoo hat vor fast einem Jahr einen Online-Kalender rausgebracht«, sagte Aarti. »Benutzt du den nicht?«
Stephen verzog das Gesicht. Er benutzte ihn nicht, er wusste nicht mal, dass es ihn gab.
»Woher wusstet ihr, dass der Termin wegen eines Gewichtsproblems vereinbart wurde oder dass es überhaupt ein Arzttermin war?«, fragte Kohan.
»Das war kein Problem«, sagte William. »Wir haben alle Termine in allen Kalendern daraufhin überprüft, ob sie den Vermerk ›Arzt‹ oder die Abkürzung ›Dr.‹ beinhalteten. Dann haben wir die entsprechenden Namen daraufhin überprüft, ob es eine Praxis dieses Namens in der Nähe des betreffenden Users gab und um was für eine Art Arzt es sich handelte. Seht ihr? Ein Kinderspiel.« Er strahlte übers ganze Gesicht. Dann setzte er das Sahnehäubchen obendrauf: »Das Ganze geht von der Überlegung aus, dass niemand, erst recht kein dicker Mensch, einen weiten Anfahrtsweg zu einem Arzt auf sich nimmt, wenn es nicht unbedingt erforderlich ist.«
»Allerliebst, William«, hätte Stephen beinahe laut gesagt.
William war noch nicht fertig. »Alles in allem können wir jedenfalls definitiv sagen, dass der Kalender ziemlich genaue Anhaltspunkte liefert, vor allem, wenn man weiß, wo jemand wohnt.«
»Die Idee mit dem Kalender hatte ich«, sagte
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