Silicon Jungle
anschaute, nur ein paar Millisekunden nachdem er selbst sie sah. Yuri bewegte seine Maus über andere Häuser und klickte, und jedes Mal öffnete sich eine Blase mit den laufenden Internetaktivitäten.
Stephen ergriff als Erster das Wort. »Du wirst so manchen Produkt-Marketing-Manager in Begeisterung versetzen, Yuri. Das ist eine wirklich wunderbare Arbeit. Ein paar der Häuser sind übrigens pink. Was gucken die sich da an?«
Und das war der Moment, in dem Yuri errötete. Er wollte nicht antworten, aber Kohan und Stephen warteten auf eine Erklärung, sahen zu, wie er sich wand. Dann erfolgte die verlegene Erklärung.
Stephen blickte Kohan an, wollte ihm signalisieren, dass er sich doch bitte mit Spott zurückhalten sollte, selbst wenn es ihm schwerfiel. Ob Kohan den Blick verstand, war nicht klar, aber Gott sei Dank verkniff er sich eine Bemerkung.
»Ich übernehme den ganzen Data-Mining-Kram, Yuri. Wir machen das überall, mit allem. Aber wie um alles in der Welt hast du so detaillierte, hochauflösende Bilder von den Häusern hingekriegt? So was hab ich noch nie gesehen«, sagte Kohan.
Stephen antwortete für Yuri, weil der sich noch nicht ganz von dem Pink-Gespräch erholt hatte. »Kriegt man alles im Netz, Kohan. Eine kleine Firma stellt sie jedem zur Verfügung, der sie gebrauchen kann. Die sind leicht zu finden.« Kohan zuckte bloß die Achseln.
Yuri hatte seine Fassung einigermaßen wiedergewonnen. Sie unterhielten sich jetzt über sein Fachgebiet, und er war froh über die Gelegenheit, darüber reden zu können. »Eigentlich wollen wir nicht mehr lange auf die Bilder anderer angewiesen sein, Stephen. Ich weiß nicht, ob ihr das wisst, aber wir bauen derzeit eigene Vans, um die Wohnviertel mit hochauflösenden Kameras zu scannen, damit wir eigenes Datenmaterial haben. Bislang haben wir erst ein paar, die durch Kalifornien fahren und Bilder machen, aber es werden bald mehr sein. Das ist mein Projekt für diesen Sommer. Ich kombiniere alle Bilder, die wir mit unseren eigenen Vans sammeln, mit den Bildern, die wir von Satelliten bekommen.«
»Was haben die beiden mit einem netten Jungen wie dir nur vor, Yuri?« Sie drehten sich um und sahen Aarti, die mit der gleichen Faszination wie sie auf die Monitore starrte. »Die sehen harmlos aus, Yuri, aber nimm dich in Acht. Lass dich nicht von denen verderben, okay?«, sagte sie lächelnd. Wenn Yuri kurz vorher rosa angelaufen war, so wurde er jetzt rot wie eine Tomate und der Schweiß brach ihm aus.
Aarti trat näher an die LCD s heran. »Das viele Pink sind Pornos«, sagte Aarti zu sich selbst, vielleicht war es aber auch eine Frage. Sie beobachtete, wie die Sprechblasen über den pink leuchtenden Häusern Bild für Bild in schonungsloser Offenheit alle möglichen sexuellen Handlungen zeigten. »Erstaunlich, findest du nicht auch, Stephen?«, sagte sie, als Stephen neben sie trat. »Wir bieten ihnen so vieles an, und die Leute entscheiden sich dafür.«
Stephen lag schon eine Erwiderung auf der Zunge, eine unglaublich geistreiche Bemerkung, die sicherlich sowohl Aarti beeindrucken als auch den Gesamtzustand der pornografischen Welt, in der wir lebten, auf den Punkt bringen würde, doch leider ließ Kohan ihn nicht zum Zug kommen. Ohne auf Aarti einzugehen, begann er, Yuri auszufragen.
»Wie bist du an die Daten rangekommen? Die darf nämlich längst nicht jeder benutzen. Wir mussten eine Erklärung von zig Seiten unterschreiben, damit wir uns diesen Kram überhaupt nur anschauen dürfen …« Kohan war revierbissig, nahezu eifersüchtig.
Stephen und Aarti beschlossen, die nächste Kaffeebar aufzusuchen, und ließen Yuri und Kohan allein über die Details diskutieren, wem es erlaubt sein sollte, sich die Ubatoo-Daten anzusehen, und wem nicht. Derweil zeigten die LCD s ungerührt weitere Momentaufnahmen von Userinteressen, -wünschen und -fetischen, als hätten die Bildschirme selbst ihr eigenes Begehren – nämlich einfach nur von jemandem betrachtet zu werden. Was schon bald viele Menschen tun würden.
LIBERALES ESSEN UND NOCH LIBERALERER AKTIVISMUS
9. Juli 2009.
Die Touchpoints-Gruppe wuchs stetig an. In den Monaten seit Stephen sein Praktikum begonnen hatte, waren neun neue Informatiker ins Team geholt worden – erstaunlich viele Neueinstellungen in so kurzer Zeit. Atiq hatte sich Xiaos Ermahnungen zu Herzen genommen. Er würde sie nicht mehr zu hören bekommen.
Atiqs und Jaans Team genoss in akademischen Kreisen einen guten Ruf, und die
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