Silo: Roman (German Edition)
wir sind
noch nicht mal in der Mitte.«
»Ja. Ich hab auch
schon überlegt, ob eine kleinere Aktion nicht erfolgreicher gewesen wäre.«
Knox runzelte die
Stirn, aber er verstand, warum Pieter so dachte. Der Mann war es gewohnt, mit
nur einer Handvoll starker Männer Großes auszurichten. Aber jetzt war es zu
spät, um über Pläne zu diskutieren, deren Ausführung bereits begonnen hatte.
»Die Stromsperre ist wahrscheinlich schon ausgelöst worden «, sagte Knox.
Pieter nickte ernst.
Er sah sich in dem Raum um, wo die Männer und Frauen sich bewaffneten und ihre
Ausrüstung für den weiteren Aufstieg neu packten. Dann ging er sich selbst ein
Gewehr holen und seine Feldflasche auffüllen.
Knox trat zu Marck
und Shirly an die Tür. Wer kein Gewehr hatte, bewaffnete sich mit scharf
geschliffenen Eisenstangen. Knox fand es erstaunlich, dass alle instinktiv
wussten, wie man Dinge herstellte, mit denen sich Menschen verletzen ließen.
Sogar die ganz jungen Schatten hatten dieses düstere Wissen irgendwo aus den
Tiefen ihrer Phantasie gezogen.
»Okay. Auf in die
Schlacht, wie es so schön heißt.« Knox ließ den Blick durch den Raum schweifen.
Viele Gesichter waren ihm zugewandt und warteten offenbar auf ein Zeichen,
vielleicht auch auf eine kleine Rede. Aber Knox wusste nicht mehr, was er sagen
sollte. Er hatte nur noch Angst, dass er es war, der diese guten Menschen zur
Schlachtbank führte, und dass alles viel zu schnell ging. Die Gewehrläufe
lehnten an den Schultern seiner Leute, die Menge sah aus wie ein Nadelkissen.
Es gab Dinge, die man nicht mehr zurücknehmen konnte. Die Gewehre waren nun
hergestellt worden – wer würde sie später wieder auseinandernehmen?
»Mir nach«, rief er,
und das Geplauder erstarb. Taschen wurden zurechtgerückt, in den Rucksäcken
klirrte es gefährlich. »Mir nach«, sagte er noch einmal in den ruhiger
werdenden Raum, und seine Soldaten stellten sich in ordentlichen Reihen hintereinander
auf. Knox wandte sich zur Tür und dachte, dass sie wirklich alle ihm
nachgingen . Er klemmte sich sein Gewehr unter den Arm und drückte Shirly im
Vorbeigehen die Schulter, als sie ihm die Tür aufhielt.
Draußen standen zwei
Arbeiter aus der Versorgung am Geländer. Sie hatten den spärlichen Verkehr
weggeschickt und die Stromsperre als Ausrede angeführt. Als Licht durch die
offenen Türen herausfiel und die Maschinengeräusche aus der Versorgung ins
Treppenhaus drangen, rückte Knox nervös sein Bündel zurecht – darin waren
Werkzeug, Kerzen, Taschenlampen, damit es aussah, als wären sie im
Arbeitseinsatz. Unter dieser Tarnschicht trug er zusätzliche Kugeln und eine
Bombe, außerdem Verbandszeug und Schmerzmittel, nur für den Fall. Sein Gewehr
war in ein Stück Stoff eingewickelt und klemmte immer noch unter seinem Arm. Da
er wusste, was es war, fand er die Verhüllung lächerlich. Und als er die
anderen ansah, die mit ihm marschierten, manche in Schweißerkitteln, manche mit
Bauhelmen unter dem Arm, wurde ihm klar, dass ihre Absichten doch allzu
offensichtlich waren.
Sie verließen den
Treppenabsatz und machten sich an den Aufstieg. Einige seiner Mechaniker waren
in gelbe Overalls geschlüpft, um in der Mitte nicht so aufzufallen. Sie
bewegten sich geräuschvoll im gedämpften Licht des nächtlichen Treppenhauses.
Knox versuchte nach
Kräften, sich den kommenden Morgen möglichst positiv vorzustellen. Vielleicht
wäre der Zusammenstoß schon ausgestanden, bevor der Rest seiner Leute ankam.
Vielleicht würden sie nur noch dazustoßen, um den Sieg zu feiern.
Sie kamen gut voran,
während Knox von einem friedlichen Umsturz träumte. Auf einem Stockwerk hängten
ein paar Frauen gerade ihre Wäsche zum Trocknen über das Geländer. Die Frauen
erkannten Knox und seine Leute in den blauen Overalls und beschwerten sich über
die Stromsperre. Ein paar Arbeiter blieben stehen, händigten ihnen irgendwelche
Bedarfsartikel aus und verbreiteten ihre Lügen. Erst nachdem sie auf dem
nächsten Stockwerk angekommen waren, sah Knox, dass das Tuch von Marcks Gewehr
gerutscht war. Vor dem nächsten Treppenabsatz wickelte er es wieder vorsichtig
ein.
Der Aufstieg wurde
zu einer schweigsamen, zermürbenden Angelegenheit. Knox ließ sich etwas
zurückfallen, um nach seinen Leuten zu sehen. Er fühlte sich sogar für die
Leute aus der Versorgung verantwortlich. Ihr Leben hing von seinen
Entscheidungen ab. Es war genau so, wie Walker es gesagt hatte, der verrückte
Spinner. Es war tatsächlich passiert.
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