Silo: Roman (German Edition)
betrat endlich wieder die Zivilisation. Licht. Strom.
Wärme.
Sie stolperte den
Flur entlang, an den Rändern sah sie nur noch unscharf, alles drehte sich.
Ihre Schulter
streifte die Wand. Sie wollte nur noch Lukas anrufen, seine Stimme hören. Sie
stellte sich vor, hinter dem Server einzuschlafen, dessen Lüfter ihr warme Luft
zufächeln würde, die Kopfhörer würde sie eng am Ohr haben. Er konnte ihr leise
etwas über die Sterne erzählen, während sie schlief, tagelang …
Aber Lukas konnte
auch warten. Lukas war unter dem Serverraum eingesperrt und in Sicherheit. Sie
würde alle Zeit der Welt haben, um ihn anzurufen.
Stattdessen ging sie
in Richtung des Labors für die Schutzanzüge und taumelte zur Werkzeugwand. Sie
wagte es nicht, ihr Bett anzugucken, wenn sie es auch nur ansah, würde sie erst
Tage später wieder aufwachen.
Sie nahm sich den
Bolzenschneider und wollte schon gehen, aber dann nahm sie auch noch den
kleinen Vorschlaghammer mit. Die Werkzeuge waren schwer, fühlten sich aber gut
an, eines in jeder Hand, Juliette fühlte sich geerdet und stabilisiert.
Am Ende des Flurs
drückte sie eine Schulter gegen die schwere Tür zum Serverraum. Sie lehnte sich
daran, bis sie quietschend aufging. Nur einen Spalt. Gerade breit genug.
Juliette ging, so schnell ihre tauben Muskeln sie trugen, zur Leiter.
Das Gitter lag an
seinem Platz, sie zog es aus dem Weg und warf die Werkzeuge hinunter. Es machte
einen Höllenlärm, aber das war ihr egal. Schaden würde ihr das nun auch nicht
mehr. Dann kletterte sie hinunter, ihre Hände rutschten ab, ihr Kinn schlug auf
eine Leitersprosse, und der Boden kam schneller auf sie zu, als sie erwartet
hatte.
Juliette lag auf
allen vieren, ihr Schienbein stieß an den Vorschlaghammer. Es kostete sie eine
übermenschliche Kraftanstrengung, aber sie stand wieder auf.
Den Gang entlang, an
dem kleinen Tisch vorbei. Dort würde der Stahlkäfig sein, mit einem Funkgerät
darin. Sie erinnerte sich an ihre Tage als Sheriff. In ihrem Büro hatte es
ebenfalls ein Funkgerät gegeben, und sie hatte damit Marnes gerufen, wenn er
unterwegs gewesen war. Aber das hier würde etwas ganz anderes sein.
Sie legte den
Vorschlaghammer ab und setzte den Bolzenschneider am Scharnier an. Ihre Arme
zitterten.
Juliette brachte sich
in Position. Den einen Griff des Schneiders legte sie sich auf die Schulter und
klemmte ihn zwischen Arm und Schlüsselbein. Den anderen Griff nahm sie in beide
Hände und zog ihn auf sich zu, sodass die Klingen zusammengedrückt wurden.
Es gab einen lauten
Schlag, das Krachen von berstendem Stahl. Sie setzte den Bolzenschneider am
anderen Scharnier an und wiederholte die Prozedur. Ihr Schlüsselbein schmerzte,
es fühlte sich an, als wäre das der erste Knochen, der nun brechen müsste.
Wieder barst Metall.
Juliette griff nach
dem Stahlgitter und zog. Die Scharniere lösten sich aus der Verankerung. Sie
riss an der Tür des Käfigs, sie dachte an Walker und ihre Freunde, an die
schreienden Menschen im Hintergrund. Sie würde sie unbedingt dazu bringen
müssen, die Kämpfe einzustellen. Sie sollten alle aufhören zu kämpfen.
Sobald genügend Raum
zwischen dem verbogenen Stahl und der Wand war, schob sie die Finger hinein und
zog, sie bog den Schutzkäfig auf, weg von der Wand, dem Regal, und das
Funkgerät kam zum Vorschein. Wer brauchte schon Schlüssel? Scheiß auf die
Schlüssel. Sie bog die Gittertür vollends um, lehnte sich mit ihrem ganzen
Gewicht dagegen, verbog die halbe Vorderseite.
Die Wählscheibe an
dem Funkgerät kam ihr bekannt vor. Sie drehte daran, um das Gerät anzuschalten,
und stellte fest, dass es einrastete, statt sich nur zu drehen. Erschöpft
kniete Juliette sich hin, der Schweiß lief ihr übers Gesicht. Es gab noch einen
anderen Knopf, und als sie den probierte, erklang ein statisches Knistern aus
den Lautsprechern, ein Summen erfüllte den Raum.
Juliette lächelte
erschöpft und drehte die Scheibe auf die Achtzehn. Sie nahm das Mikro in die
Hand und drückte den Sprechknopf.
»Walker? Bist du
da?«
Juliette sackte auf
dem Boden zusammen und lehnte sich an den Tisch. Mit geschlossenen Augen, das
Mikro am Gesicht, konnte sie sich vorstellen, so einzuschlafen. Sie verstand,
was Lukas gemeint hatte. Hier unten war es tatsächlich gemütlich.
Noch einmal drückte
sie den Knopf. »Walk? Shirly? Sagt doch was.«
Das Funkgerät sprang
knisternd an.
Juliette schlug die
Augen auf. Mit zitternden Händen starrte sie das Gerät an.
Eine
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