Sils Maria: Kriminalroman (German Edition)
ein bitteres Lachen. Und ein weiterer Ellbogen, der sich schmerzhaft in Ploteks Fleisch rammte.
»Ich wollte Kinder, ja. Nicht nur eines, mehrere! Sollte ich warten, bis auch ich nicht mehr dazu fähig wäre?«
Jetzt kam von Plotek nichts mehr. Was weniger an seiner Ratlosigkeit als an seiner mangelnden Leidensfähigkeit lag. Er biss die Zähne aufeinander und atmete konzentriert in den Futon hinein.
»Was hätte ich denn machen sollen?«
Keine Antwort von Plotek. Noch einmal die schmerzhaften Ellbogen und Handballen und dann: »Fertig.«
Selina verfiel wieder in ihre normale, forsche Sprechstimme. »Sie können sich umdrehen!«
Offenbar war sie in der Lage, von einem auf den anderen Augenblick in eine vollkommen andere Stimmungslage zu wechseln. Und tatsächlich sagte sie jetzt fast heiter: »Das ist heute Ihr letzter Tag.«
Plotek stand vom Futon auf und dachte: Zum Glück, langsam ist es auch an der Zeit, endlich von hier wegzukommen.
»Jetzt noch die Abschlussuntersuchung, und Sie werden entlassen: ins Leben.«
Stimmt, dachte Plotek, mit einer Hypothek in Form von ganz schön vielen Toten zwar, aber immerhin.
Ein junger, gut aussehender Arzt aus St. Moritz füllte vorübergehend die Lücke, die Dr. Wehrli hinterlassen hatte. Schon am Morgen war er von Selina, als wäre es längst verabredet gewesen, herbestellt worden. Er war nicht nur für die Akupunktur zuständig, sondern zusammen mit Selina und Britta auch für die anschließende Abschlussuntersuchung.
»Das sieht wirklich sehr gut aus«, sagte Dr. Schwertenlaib, der an einen erfolgreichen Schweizer Tennisprofi erinnerte. »Wir können Sie guten Gewissens entlassen.« Er betrachtete den halb nackten Plotek wie ein Insekt. »Wollen Sie überhaupt?« Er lachte und zeigte dabei kleine, spitze Zähne mit auffällig vielen Fehlstellungen.
Plotek nickte entschlossen.
»Sie können auch gerne noch ein Weilchen hierbleiben«, ergänzte Selina mit verträumtem Blick zum jungen Arzt. Die Fehlstellungen schienen sie nicht zu stören.
»Vielleicht auch für immer«, kam von Britta, deren Augen vom vielen Weinen ganz geschwollen waren.
»Danke, aber ich glaube, auf die Dauer würde mir hier was fehlen.«
»Was denn?«, kam fast schon vorwurfsvoll von Selina.
Natürlich hätte er jetzt »Schweinsbraten« sagen können, »Knödel, Unertl-Weißbier und ab und zu mal ’ne Zigarette«. Er sagte aber lieber nichts, sondern hob indifferent die Schultern.
Als wäre das die Bestätigung, lächelten beide Frauen, während der Arzt »Na, sehen Sie!« sagte.
Selina und Britta sahen Dr. Schwertenlaib an und strahlten um die Wette, sodass Plotek die Probleme schon am Horizont heraufziehen sah.
Da köcheln die Hormone, dachte er, und Eifersucht, Konkurrenz, Liebeskatastrophen und der ganze Scheiß sind vorprogrammiert.
Plotek packte seine wenigen Habseligkeiten zusammen und wollte sich gerade zum Hotel Zentral aufmachen, als ihm Selina Wehrli noch einmal in die Quere kam. Sie hielt einen Schnellordner in der Hand.
»Für Ihren Hausarzt!« Sie wedelte damit in der Luft herum. Dann überreichte sie ihm die Kopie seiner Krankenakte.
»Alles Gute.« Irgendwie wirkte sie erleichtert.
»Ihnen auch.«
»Bis bald mal wieder.«
»Bestimmt.«
»Lassen Sie es sich gut gehen.«
»Sie auch.«
Irgendwie war Plotek froh, endlich wieder nach Hause zu kommen. Dabei wurde er aber auch ein wenig sentimental.
Schon ein schöner Flecken Erde hier, dachte er, als er mit seiner Sporttasche in der Hand und der Krankenakte unter dem Arm noch ein Weilchen auf dem Parkplatz der Klinik stehen blieb. Er blickte zu den schneebedeckten Bergen hinauf. Dann warf er einen Blick zum zugefrorenen See. Kein Wunder eigentlich, dass die ganzen Dichterfürsten hier Station gemacht haben und die Seele baumeln ließen. Man kann es hier schon aushalten. Für eine gewisse Zeit. Aber für immer? Er schüttelte den Kopf und wollte gerade losgehen, als er in seinem Rücken »Plotek!« hörte. Mehr Befehl als Zuruf.
Er drehte sich um. Marlies stand am Eingang. Sie kam auf ihn zugerannt wie ein junges Reh, sprang ihm an den Hals und umarmte ihn innig. Dann küsste sie ihn auf den Mund. Es fühlte sich gut an. Hinter ihr tauchte lächelnd Klemens auf. Noch immer hatte er Marlies’ zu weite Gymnastikhose an und das fleckige Oberhemd.
»Und?«, fragte Plotek.
»Ich bleib noch ein bisschen. Ist doch schön hier, oder?« Das eine Auge fixierte Plotek, das schielende verweilte bei Marlies.
Da wollte
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