Sils Maria: Kriminalroman (German Edition)
und flüsterte mehr, als dass er sprach: »Mal ehrlich, verehrte Frau Hauptkommissarin, aber das glauben Sie doch selber nicht, oder?«
»Es geht nicht darum, was ich glaube«, flüsterte sie zurück. »Es geht darum, wie die Sachlage aussieht.« Es hörte sich an wie Liebesgeflüster.
»Verdammt seltsam sieht die aus.«
»Finden Sie?« Die Hauptkommissarin rülpste lautlos.
»Sie nicht?«
Frau Pan war wieder zurück. »Sie haben einen Wunsch noch?«
»Wenn Sie mir vielleicht noch eines dieser köstlichen Reisschnäpschen bringen würden?« Frau Frischknecht rieb mit ihrer schönen Hand ihren sicher noch schöneren Bauch.
»Einen Lua Moi ?«
»Genau den!«
»Mir auch!«, sagte Vinzi und leckte sich die Lippen.
Nicken und Verbeugen von Frau Pan, und schon war sie wieder verschwunden.
»Und wie geht es jetzt mit dem Asiaten weiter?« Vinzi brachte, nachdem der tote Elvis im Wald offensichtlich erledigt war, den abgestürzten Mann im Trog wieder ins Spiel.
»Der ist auch erstickt, wie die Obduktion ergeben hat.«
»Aber ohne Spieluhr.«
»Exakt.« Wieder leichtes Aufstoßen der Hauptkommissarin. »Wir versuchen gerade, die Identität des Mannes zu ermitteln. Das Flugzeug, aus dem er gefallen ist. Warum das Fahrwerk so früh geöffnet wurde und so weiter.«
Die Schnäpse kamen.
»Zum Wohl.«
» Danke.« Die Hauptkommissarin kippte den Schnaps in einem Zug die Kehle hinunter. Vinzi auch.
»Schmeckt wie Wodka!«, sagte Vinzi.
»Besser!«, sagte sie und rieb sich erneut den Bauch. Dann fügte sie, offenbar in Bezug auf den asiatischen Abwurf, hinzu: »Ist nicht einfach, aber machbar.«
Bleibt für die kulinarischen Genüsse noch genügend Zeit, dachte Plotek. Als wollte Frau Frischknecht ihn bestätigen, sagte sie: »Dann ist auch dieser Fall erledigt.« Die Hauptkommissarin schien jetzt schon erleichtert zu sein.
»Der Mond ist wie ein blutig Eisen!«, zitierte Plotek Woyzeck , woraufhin sich auch Frau Pan, das erste Mal übrigens, in das Gespräch einmischte.
»Wenn Sie fragen mich, alles hat mit Geschichte von Maler zu tun.«
Sie fragte aber niemand. Schon gar nicht die Hauptkommissarin. Erzählen tat sie es dann trotzdem. Zuvor brachte sie auf Bestellung von Vinzi aber noch mal zwei Lua Moi .
»Waren Sie schon in der Chesa Fonio ?«
Vinzi, Plotek und Vera Frischknecht schüttelten den Kopf.
»Andrea Robbi?«
Wieder kollektives Schütteln.
»Prost!« Vinzi und Vera stießen an. Beide kippten den Schnaps wieder in einem Zug hinunter. Plotek sah ihnen ein wenig neidisch dabei zu. Frau Pan wiederum eilte zum Tresen und kam mit einer Postkarte zurück. Sie legte sie vor Plotek und Vinzi auf den Tisch. Auf der Postkarte war das Konterfei eines Mannes abgebildet. Dunkel, düster, mit einem Blick aus der Abteilung Mehrfachmörder. In erdigen Brauntönen gehalten, mit viel Schatten.
»Ist das Andrea Robbi?«
»Ja, ist Maler. War Maler. Ist Selbstbildnis. Er ist aufgewachsen hier in Sils. Dann er hat Malerei studiert in München, Dresden, Mailand. In Paris er war auch und hat gemalt. Er war Künstler, Bohemien.«
Na ja, nichts Ungewöhnliches im Prinzip, dachte Plotek und verlor langsam das Interesse an Frau Pans Erzählung.
»Bis 1898, dann alles ist gekommen anders.« Also doch ungewöhnlich. Frau Pan machte eine Pause. Das Interesse der drei kehrte zurück.
»Was ist denn passiert?«, wollte Vera Frischknecht wissen.
»Er hört auf zu malen. Plötzlich, auf einen Schlag. Sein Vater ist tot, und er kommt zurück nach Sils. Dann, nachdem einige Jahre später Mutter auch stirbt, Andrea Robbi entzieht sich der Welt. Er zieht in Haus von Vater, macht Fensterläden zu und lebt nur noch in Dunkelheit. Wandert im Haus mit Kerzen herum. Unheimlich. Nur manchmal in der Nacht er geht nach draußen, geht um Haus herum und dann wieder zurück in Isolation. Warum er so ist, bleibt ein Rätsel. Sein Geheimnis. Er lebt lange so, über vierzig Jahre allein in Dunkelheit. 1945 er ist gestorben.«
»Seltsam«, sagte Vinzi.
»Aber was hat das mit den Elvissen und den Kältetoten …«, wollte Plotek wissen. Frau Pan ließ ihn aber nicht aussprechen, sondern ging mit »Aber sein Geist lebt« dazwischen.
»Wie meinen Sie das, sein Geist lebt ?«, fragte die Hauptkommissarin und sah dabei so aus, als würde das vietnamesische Reisgericht sie nachhaltig plagen – trotz der Schnäpse.
»Manchmal ich sehe nachts draußen eine Gestalt. Das ist Robbi, der um Häuser schleicht und sucht etwas.«
»Was sucht er
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