Sils Maria: Kriminalroman (German Edition)
Soldaten, der seine untreue Geliebte Marie ermordet. »Was bist du so bleich, Marie? Was hast du eine rote Schnur um den Hals? Bei wem hast du das Halsband verdient mit deinen Sünden?«, rezitierte Plotek, als wäre er selbst Woyzeck.
Die Hauptkommissarin, offenbar in der deutschen Theaterliteratur firm, lächelte.
»So ähnlich, ja, nur ohne Fremdeinwirkung.«
Kopfschütteln bei Plotek. Kopfschütteln bei Vinzi. Während die Hauptkommissarin wieder vor Verzückung die Augen verdrehte, nachdem sie mit den Stäbchen ein paar Bambusstreifen in den Mund bugsiert hatte.
»Wie soll das gehen?« Vinzi fragte es mit dünner Stimme, mehr sich selbst als die anderen.
»Die Gerichtsmediziner haben herausgefunden, dass das Würgemal von der Spieluhr stammt. Oder besser: von dem Bändel der Spieluhr.«
Unsicher, ob es ein Scherz war, vergewisserte sich Plotek noch einmal: »Sie wollen allen Ernstes behaupten, der Elvis hat sich die Spieluhr selbst um den Hals geschlungen und sich damit erwürgt?«
»Exakt.« Mit den Stäbchen stach sie dabei in die Luft.
Die hat doch nicht mehr alle Tassen im Schrank, dachte Plotek, oder einfach keinen Bock zu ermitteln.
»Schubert, Wiegenlied «, kam von Vinzi, und schon fing er wieder an zu singen: »Schlafe, schlafe, holder süßer Knabe / Leise wiegt dich deiner Mutter Hand / Sanfte Ruhe, milde Labe / Bringt dir schwebend dieses Wiegenband / Schlafe, schlafe in dem süßen Grabe / Noch beschützt dich deiner Mutter Arm / Alle Wünsche, alle Habe / Fasst sie liebend, alle liebewarm …«
»Schön«, sagte die Hauptkommissarin und dirigierte mit den Stäbchen.
»Und traurig«, sagte Plotek.
»Der Tod ist traurig«, kam von Vinzi.
»Und brutal.«
»Mit der Schnur vielleicht ein bisschen weniger«, relativierte Vera Frischknecht und ließ die Stäbchen wieder ihre eigentliche Aufgabe verrichten.
»Der Tod ist ein Arschloch!« Vinzi ließ das nicht gelten.
»Der bei unserem Elvis trat durch Strangulieren ein«, nahm die Hauptkommissarin den Faden wieder auf. »Das meinen zumindest die Gerichtsmediziner.«
»Wie blöd muss man da sein?« Vinzi schüttelte den Kopf und meinte wohl den sich selbst strangulierenden Elvis. Vielleicht auch ein bisschen die Gerichtsmediziner.
»Nicht blöd. Verzweifelt, lebensmüde.« Die Hauptkommissarin schob den leeren Teller von sich und warf die Stäbchen wie Waffen daneben.
»Aber das geht doch gar nicht«, warf Plotek ebenfalls scharfe Munition dazu.
Er war davon überzeugt, dass die Selbstmord-Theorie einzig und allein auf Frischknechts Hang zum Dolce Vita beruhte. Dass es sich um Mord handelte, lag nämlich auf der Hand. Nur schien die junge Kriminalbeamtin nicht an Mord glauben zu wollen. Auf Teufel komm raus nicht. Aus gutem Grund, wie Plotek einleuchtete. Selbstmord ist einfacher als Mord. Einfacher zu ermitteln, weniger aufwendig. So wie es aussah, hatte die attraktive Frau Frischknecht einfach keine Lust auf Mord. Kann man auch irgendwie verstehen. Keine Lust auf Überstunden, Fahndungsdruck, nicht enden wollende Tage in Sils Maria und alles. Die Hauptkommissarin machte den Eindruck, als ob es in ihrer Wirklichkeit wichtigere Dinge gäbe als Kapitalverbrechen. Soll heißen: als ob sie eben dem Dolce Vita nicht abgeneigt wäre.
Eigentlich sympathisch, dachte Plotek. Hätte sie sich eben einen anderen Beruf aussuchen müssen, könnte man andererseits auch denken. Aber mit Dolce Vita ist nun mal kaum ein Beruf kompatibel. Die Hauptkommissarin schien sich jedenfalls mehr für kulinarische Genüsse begeistern zu können als für irgendwelche Ermittlungen. Da ist ein vermuteter Selbstmörder wesentlich angenehmer als ein unbekannter Mörder, nicht wahr?
In diesem Moment kam Frau Pan an den Tisch geeilt, griff nach dem schmutzigen Geschirr und fragte: »Hat geschmeckt?«
»Sehr!« Die Hauptkommissarin küsste in die Luft, was auch wie aus der deutschen Dramatik wirkte. Allerdings ganz schlecht inszeniert. Plotek erinnerte sich zwangsläufig an seine Zeit als Schauspieler im deutschen Stadttheater: Konstanz, Marburg, Erlangen. Grauenhaft!
Frau Pan trug nach der missglückten Schauspieleinlage von Vera Frischknecht, ohne sich zu verbeugen, das Geschirr ab und verschwand in der Küche.
»Und wo sind dann die Kleider vom toten Elvis?« Vinzi schien sich noch nicht geschlagen geben zu wollen.
»Tja, keine Ahnung, aber die werden sich schon noch finden.«
Vinzi beugte sich im Rollstuhl ein Stück zur Hauptkommissarin am Nebentisch hinüber
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