Sils Maria: Kriminalroman (German Edition)
sich plötzlich. Plotek dachte noch: Was ist denn mit der los?, als ihm dämmerte, dass da am anderen Ende etwas zog. Ein Fisch, klar! Was denn sonst?!
»Verdammt, da hat einer angebissen!« Plotek sagte es, wie man sagt: »Kann mir mal jemand helfen?!«
Machten sie auch. Klemens zog zusammen mit Plotek an der Rute. Doch irgendwie schien sich der Fisch am kleinen Eisloch verkantet zu haben. Es dauerte eine Zeit lang, bis die Angelschnur aus dem Wasser war. Da dann: Überraschung! Am Haken hing nämlich gar kein Fisch. Am Haken hing ein Stiefel. Oder besser: ein Cowboystiefel. Einer aus weißem Leder und mit gestickten Applikationen drauf, die das Konterfei von Elvis Presley in jungen Jahren zeigten. Der ganze Stiefel ein Unikum und sicher sauteuer.
»Wer schmeißt einen solchen Stiefel ins Wasser?«, fragten die drei gleichzeitig und kopfschüttelnd.
Klemens betrachtete den Stiefel näher: »Das ist einer von einem Elvis-Imitator.« Er sagte es, ohne dass ein vulgärer Ausdruck seine Worte eskortierte.
»Ja, von wem auch sonst?!«
»Nein, ich meine, ich habe ihn schon mal gesehen. Am Fuß von einem der Sänger.«
»Wo?« Es klang wie ein Verhör. Wie Vera Frischknecht in Hochform.
»Im Hotel natürlich, Mann!«
»Du willst aber jetzt nicht behaupten, dass der Stiefel zu unserem kältetoten Elvis im Wald gehört?«
»O doch, das … Scheiße … will ich.«
»Ob da der andere Stiefel auch noch drin ist?« Plotek zeigte zum Loch.
»Vermutlich.«
»Vielleicht sogar noch mehr«, spekulierte Vinzi. Offenbar fiel auch ihm jetzt auf, dass das Loch viel größer war als noch am Vortag.
Plotek hielt die Angel aber nicht ein weiteres Mal ins Wasser.
»Ich schätze mal, dafür ist die fesche Hauptkommissarin zuständig, oder?«, sagte Vinzi.
Die anderen beiden stimmten zu.
Der Silsersee musste abgesucht werden, das war klar. Allerdings nicht sofort, sondern später. Die Taucher kamen ja momentan nicht nach Sils Maria durch. Wegen dem Schnee, dem Geröll und allem. Aber selbst wenn sie durchgekommen wären, wäre es nicht so schnell gegangen.
»Warum?«, fragte Vinzi die Hauptkommissarin Frischknecht, nachdem diese sich den Stiefel ganz genau angesehen hatte.
»Na ja, so viele Taucher gibt es da nicht. Und die wenigen sind entweder im Urlaub, krank oder wegen Stellenabbau entlassen.« Die Polizei schien vom Freund und Helfer zum Sozialfall zu verkommen.
»Glauben Sie eigentlich, dass sich auch die Kleider des toten Elvis im See finden lassen?«
»Womöglich.« Vera Frischknecht schien diese Möglichkeit tatsächlich in Betracht zu ziehen. Dennoch ging die Polizei noch immer von Selbststrangulierung aus.
»Das geht doch gar nicht, oder?«, sagte Plotek zu Vinzi gewandt, während sich die Hauptkommissarin wieder ganz in die Spurensicherung vertiefte.
»Du glaubst doch auch nicht, dass das geht, oder?« Er sah Vinzi erwartungsvoll an. »Ich meine, praktisch. Das geht doch gar nicht, oder?« Noch immer keine Reaktion von Vinzi. »Ich meine, Selbsterhaltungstrieb, Instinkt, Reflex und alles. Wie soll das gehen?«
»Na ja, wenn das Opfer dabei durch einen Herzinfarkt stirbt«, versuchte Vinzi sich gedanklich der Selbststrangulierung zu nähern, »oder dergleichen …«
»Aber die Todesursache war eindeutig. Nicht Herzinfarkt! Tod durch Strangulieren!« Plotek sah zur Hauptkommissarin, die noch immer mit dem Fundort des Stiefels beschäftigt war.
»Soll heißen, er war schon tot, als er sich in den Schnee gelegt hat«, zog Vinzi die einzige mögliche Schlussfolgerung.
»Und nackt?«, fragte Plotek.
»Hm, vielleicht wurde er ja erst danach ausgezogen.«
»Aber warum?«
»Vielleicht um den Eindruck zu erwecken, die Todesursache wäre ebenfalls Hypothermie.«
»Hypothermie?«
»Kältetod.«
Beide dachten nach, bis Plotek schließlich das Resultat seiner geistigen Anstrengung präsentierte: »Du meinst, wir haben es mit einem Trittbrettfahrer zu tun?«
»Wahrscheinlich.« Vinzi schien zum selben Ergebnis gelangt zu sein.
»Ob das die Frischknecht auch so sieht?«
»Wahrscheinlich nicht.«
In den Nachmittagsstunden wurde dann doch noch ein Taucher mit dem Hubschrauber nach Sils Maria gebracht. Kaum war er ins Eisloch geschlüpft, tauchte er schon wieder auf. In der Hand hielt er den anderen Stiefel.
»Na, wer sagt’s denn?!«, sagte Vinzi, der zusammen mit Plotek, Klemens und anderen Schaulustigen das Geschehen genau beobachtete. Auch die Hauptkommissarin war wieder zugegen. Sie nahm den zweiten
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