Sils Maria: Kriminalroman (German Edition)
kam er aber bei der aufgebrachten und eloquenten Hauptkommissarin nicht durch.
»Das ist mir scheißegal!«, keifte sie. »Die Anweisung war klar. Entweder Sie machen Ihren Job verdammt noch mal richtig oder bleiben endlich da, wo Sie hingehören: in der Rente! Und pfuschen hier nicht herum wie ein Anfänger!«
Das saß. Es war natürlich auch gemein von Vera Frischknecht. Jäggi sah aus, als wollte er gleich weinen. Hielt aber dann doch eingeschnappt den Mund.
Nachdem die Baustelle schließlich von den aus Chur und Zürich mit dem Hubschrauber eingeflogenen Spurensicherern auf den Kopf gestellt worden war, fand man tatsächlich die Spieluhr. Die Leiche hingegen fand man nicht. Dafür erzählte Klemens, dass der kleinwüchsige Elvis-Imitator aus Finnland, der ebenfalls im Hotel Zentral wohnte, nicht zum Frühstück gekommen und auch sonst nirgends aufgetaucht war.
»Der ist … Kackarsch, Ficker … verschwunden … Vollspacker!«
»Welches Zimmer?«, fragte Vinzi Frau Pan.
»Dreiundfünfzig.«
Sie klopften an der Zimmertür. Frau Pan, Plotek, Klemens und Vinzi. Nachdem kein »Herein!« zu hören war, schloss Frau Pan auf. Der kleinwüchsige Finne war nicht im Zimmer. Alles andere schon. Also Kleider, Koffer, Elvis-Kostüme und alles. Im Bad standen Zahnpastatube und Zahnbürste. Ein Rasierapparat lag auf der Armatur. Daneben stand ein Eau de Toilette.
» Givenchy Gentleman «, murmelte Plotek vor sich hin. Er griff nach der Glasflasche und sprühte einen Spritzer in die Luft. Sofort war ihm klar, was das für ein Eau de Toilette war.
Woraufhin er sich am ganzen Körper einsprühte. Unter die Achseln, auf die Brust, die Haare, überallhin.
»Sag mal, bist du irre?«, fragte Vinzi.
»Nee, aber auf einer Spur.« Auf welcher, sagte er nicht.
Anschließend wurde das Zimmer von der Spurensicherung durchsucht, aber vom Finnen fehlte weiterhin jede Spur.
»Hilfe, Hilfe!«, äffte Vera Frischknecht das angeblich von Plotek und Vinzi gehörte Hilfe-Geschrei nach. Dabei fixierte sie die beiden, als wollte sie sie auf die Probe stellen. »Würde ein finnischer Elvis nicht eher auf Finnisch um Hilfe schreien?«, fragte sie, was so klang wie: »Haben Sie vielleicht etwas gehört, was gar nicht zu hören war?«
»Dann würde ihn vielleicht niemand verstehen«, konterte Vinzi.
»Ah, verstehe. Sie meinen also, in Todesangst reflektiert unser kleinwüchsiger Finne erst mal darüber, in welcher Sprache er um Hilfe schreien soll, was? Er überlegt, wägt ab und entscheidet sich dann für Deutsch.«
»Genau.«
»Warum dann nicht Italienisch oder gar Rätoromanisch? «, fragte die Hauptkommissarin.
»Hä?«
»Hier im Engadin wird auch Rätoromanisch gesprochen«, erklärte sie. »Da wäre die Chance am größten gewesen …«
»Was heißt Hilfe auf rätoromanisch?«, fragte Vinzi.
»Keine Ahnung.«
»Sehen Sie, wenn Sie es schon nicht wissen …« Vinzi war der Hauptkommissarin ebenbürtig.
»Glück gehabt.« Frau Frischknecht schien das zu goutieren. Sie grinste. Vinzi grinste auch. Plotek nicht.
Der beugte sich stattdessen über den Tisch hinweg und kam ihr ganz nahe: »Riechen Sie das?«
»Das riecht wie der Tote im Wald«, sagte sie und sah Plotek an, als ob der nicht Opfer, sondern Täter wäre.
»Exakt.«
»Zimt, Estragon, Sandelholz, Patschuli, Nelken.«
»Und Vetiver.«
»Genau.«
» Givenchy Gentleman .«
Sie schien nicht ganz zu verstehen.
»Das Eau de Toilette des Finnen«, sagte Plotek, was so klang wie: »Das ist die Spur!«
»Was?« Vera Frischknecht konnte mit der Spur offenbar nichts anfangen.
»Der finnische Elvis-Imitator benutzt dieses Duftwässerchen.«
»Wie wissen Sie das?« Die Hauptkommissarin kräuselte die Stirn.
»Es steht in seinem Hotelzimmer im Bad.«
»Und? Was wollen Sie mir damit sagen?«
Plotek hob die Schultern. »Für die Antworten sind Sie zuständig.«
»Was heißt Geruchsspur Gentleman auf Rätoromanisch?«, mischte sich Vinzi ein und lächelte schelmisch.
»Keine Ahnung«, kam von Frau Frischknecht.
»Finden Sie es heraus«, sagte Plotek.
»Und Sie sollten sich schnellstmöglich waschen«, sagte sie. »Aber gründlich!«
Während die Spurensicherer die Baustelle emsig in ein Einsatzgebiet, ähnlich wie in Krisengebieten, verwandelten, standen Plotek und Vinzi vor den rot-weißen Absperrbändern und sahen ihnen dabei ebenso emsig zu. Wie viele andere Bewohner von Sils Maria auch. Und Touristen. Die Baustelle wurde plötzlich zur Pilgerstätte und war
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