Silver - Erbe der Nacht (German Edition)
dieser Moment nicht eignete, die Gespenster der Vergangenheit heraufzubeschwören, musste sie sich sehr überwinden, um durch die Tür zu treten.
Auf der anderen Seite wurde sie von Schwaden feuchter Luft empfangen, die nach Schimmel, Themse und Schlimmerem roch.
Als der enge Gang schließlich in einen größeren Raum mündete, verspürten alle eine gewisse Übelkeit.
»Ihr habt doch Tücher dabei, oder?«, fragte Slinky in sich hineinkichernd.
Madison zog als Erste ein blaues Kopftuch heraus und bedauerte, nicht früher daran gedacht zu haben.
Slinky wartete, bis seine Begleiter einen improvisierten Mundschutz angebracht hatten, bevor sie ihren Weg fortsetzten.
Je weiter sie in den Untergrund vordrangen, desto schwächer wurde das Licht und umso kühler die Luft.
Die Anhaltspunkte und ihre Wahrnehmung waren hier unten so vollkommen anders, dass bald nur noch Slinky die Richtung kannte, die sie eingeschlagen hatten.
»Wir gehen parallel zur U-Bahn«, erklärte er, als der Tunnel, in dem sie sich befanden, erzitterte und ein Staubregen von der Decke rieselte.
Vom Licht einer Lampe in Slinkys Hand geführt, erreichten sie einen hohen Raum mit Gewölbedecke, in dem sich Holzkisten stapelten.
»Das war mal ein Atombunker. Heute dient er als Lagerraum für die bei der Instandhaltung der U-Bahn benötigten Baumaterialien.«
Am anderen Ende des Raums öffneten sich zwei Tunnel. Einen dritten hatte man nachlässig zugemauert, aber einige Steine waren herausgefallen, sodass ein schmaler Durchlass entstanden war.
»Wir befinden uns jetzt hinter Aldwych, in der Gegend von Piccadilly«, fuhr der Obdachlose fort. »Durch den Gang links kommt man zu einem noch genutzten Tunnel und zur U-Bahn-Station. In der Mitte hingegen befindet sich der Verbindungsgang zu einer stillgelegten Station. Sie wird oft für Filmaufnahmen genutzt.«
»Davon habe ich gehört, aber ich habe es nie geschafft, sie zu besichtigen, wenn sie geöffnet war«, sagte Madison. »Gehen wir jetzt dahin?«
Slinky winkte ab. »Nein. Und ehrlich gesagt, bezweifle ich, dass jemand sie unterscheiden kann, wenn keine Züge fahren … Dort gibt es nichts von Interesse. Die ursprüngliche Station hingegen, die von 1907, wird heimgesucht, sagt man.«
Danny wurde aufmerksam. »Vampire?«
»Nein, Geister. Man spricht seit Jahrzehnten darüber, obwohl die letzte Geistererscheinung, von der berichtet wird, auf die Siebzigerjahre zurückgeht. Von dem toten Gleis aus kommt man jedoch zu fast allen Tunneln.« Slinky betrachtete den Durchgang rechter Hand. »Man könnte sagen, es führt mitten ins Herz des Labyrinths …«
Seine leuchtend blauen Augen funkelten amüsiert und Madison kam der Verdacht, dass diese Touristenführung im unterirdischen London ausschließlich seinem Vergnügen diente.
Oder es ist ein Test, Mad …
»Dann sind wir dorthin unterwegs«, stellte sie fest.
»Um an bestimmte Stellen vorzudringen, muss man besser ausgerüstet sein. Da, wo wir Maulwürfe nicht hinkommen, wohnen die Ratten.«
Madison sagte nichts, aber ihr Ausdruck verlor etwas an Begeisterung. Gareth lächelte sie verständnisvoll an und hob die Hand, um einige Spinnweben aus ihren Haaren zu entfernen.
Madison reagierte mit ihrem typischen fröhlichen Blick. Es war unglaublich, wie hübsch sie selbst in dieser Situation aussah, staubbedeckt und bereit, ihnen bis in die Eingeweide der Erde zu folgen.
»Einige Gänge stehen unter Wasser«, fuhr Slinky fort. »Nicht einmal ich würde mich dorthin vorwagen.«
Als er am rechten Tunnel vorbeiging und ihn hinter sich ließ, atmete die kleine Gruppe erleichtert auf.
Sie erforschten die Gänge noch eine ganze Stunde lang, bevor ihnen Slinky eine Pause zugestand.
»Hier entlang«, verkündete er und öffnete feierlich eine mehr schlecht als recht angebrachte Holztür. »Ich will euch den Wohnsitz der Maulwürfe zeigen.«
Sie betraten einen weiteren in den Stein gehauenen Tunnel, der auf unangenehme Weise an einen Bergwerksstollen erinnerte. Hinter ihnen tauchte eine nervöse, kindlich kleine und zarte Gestalt auf.
Sie schien aus dem Nichts gekommen zu sein, doch Slinkys Ruhe belegte, dass er sie schon lange beobachtet haben musste.
»Wie ihr seht, haben auch die Maulwürfe ihre Wachen. Wären wir Fremde, hätte er sofort die anderen gewarnt, ohne dass ihr seine Anwesenheit auch nur bemerkt hättet.«
Das unruhige Flackern zahlreicher Lichter am Ende des Gangs blendete sie einen Moment lang.
Als sich ihre Augen daran gewöhnt
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