Silver - Erbe der Nacht (German Edition)
handelt. Die Arbeiten werden von einstürzenden Gebäudeteilen behindert und die Temperatur im Inneren ist immer noch sehr hoch.«
Der Bericht endete mit einem Panoramaschwenk auf das zerstörte Gebäude.
»Diese Aufnahmen sind wirklich erschreckend«, fuhr der Studiosprecher fort. »Gerade hat uns die Meldung erreicht, dass in der Nacht eine Frau in offensichtlich verwirrtem Zustand wenige Kilometer von dem brennenden Fabrikgebäude entfernt aufgegriffen wurde. Indiskretionen zufolge hielt sie sich kurz vor Ausbruch des Brands in dem Gebäude auf und wurde dort Opfer eines Angriffs.«
Madison schaltete den Fernseher mit einer entnervten Geste aus.
»Glaubst du, dass …«
Sie unterbrach sich abrupt. Winter zitterte wie Espenlaub.
»Verzeih mir, Win«, sagte sie hastig und umarmte sie fest. »Es tut mir so leid.«
Sie dachte, dass ihre Freundin gleich anfangen würde zu weinen, aber Winters gerötete Augen blieben trocken.
»Es ist meine Schuld, Mad«, flüsterte sie.
Madison fasste sie fest an den Schultern und hielt sie von sich weg. »Das darfst du nicht mal denken, Süße. Es ist ganz bestimmt nicht deine Schuld.«
Winter schüttelte den Kopf. »Ich war es, die ihn zu dem gemacht hat, was er jetzt ist.«
In ihrem Blick lag die ganze Verzweiflung, die sie in den letzten Tagen versucht hatte zu verscheuchen.
Madison legte wieder die Arme um sie. »Alle haben die Wahl, Winter. Er war es, nicht du, der all das begonnen hat. Du bist nur verliebt und aufgewühlt.«
»Ich wünschte, das wäre eine Rechtfertigung.«
»Das ist es vielleicht nicht, aber nimm nicht auch noch seine Schuld auf dich.«
Winter löste sich aus ihrer Umarmung und lehnte sich auf dem Sofa zurück. »Ich glaube nicht, dass ich eine Wahl habe. Wir sind miteinander verbunden. Du kannst dir nicht vorstellen, wie eng …«
Madison war versucht, zu widersprechen, aber sie ließ es bleiben, denn Winter hatte recht.
»Es gibt nichts, das nur mir gehört«, fuhr Winter fort. »Es ist, als wären wir zwei Teile eines Ganzen. Die MACHT, die wir entfesselt haben, vereint uns. Ich weiß, wie es enden wird, aber selbst jetzt würde ich, wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, alles noch einmal genauso machen, fürchte ich. Ich kann ihm das, was er tut, nicht verzeihen, und doch fehlt er mir unerträglich. Mir fehlt jeder einzelne Moment, den wir miteinander verbracht haben, jedes Wort, jedes Lächeln, jeder Kuss. Er war der Erste …«
Sie verbarg ihr Gesicht in den Händen, war nicht mehr in der Lage weiterzureden.
Sie hatten sich geliebt, sie hatten sich gegenseitig ihr Blut geschenkt und sich ewige Liebe geschworen.
Und so war es. Sie liebte ihn noch immer aus ganzem Herzen.
Das muss doch etwas bedeuten!
»Ich habe Angst, Mad«, gestand sie kaum hörbar. »Ich weiß nicht, wie ich das durchstehen soll. Auch wenn ihr einen Weg findet, uns zu trennen, wird ein Teil von mir trotzdem sterben.«
Madison kauerte sich neben Winter und hob ihr Gesicht mit einer zärtlichen Geste, um ihr in die Augen sehen zu können.
»Nein, Winter, du hast kein Recht, mir meine beste Freundin wegzunehmen«, erklärte sie ernst. »Wenn du keine Kraft mehr hast, für dich selbst zu kämpfen, dann tu es für uns: für mich, Gareth, Marion. Und dann sind da noch Dougall, Bethan, Danny und alle deine Freunde in Wales. Sogar die Sin. Und dein Vater lebt nur für dich. Lass uns nicht allein, Winter.«
Sie streichelte ihr lange das Gesicht und wartete geduldig darauf, dass in ihrem Blick wieder der Mut aufleuchtete, der Winter für sie immer zu etwas ganz Besonderem gemacht hatte.
Winter seufzte tief und versuchte, sich an der Kraft, die Madison ihr anbot, festzuhalten.
»Wir schaffen das, Winter. Wir müssen nur herausfinden, wie. Aber wir werden es schaffen.«
Sie hielt ihr den kleinen Finger hin und Winter hakte den ihren ein, so wie sie es früher immer getan hatten.
»Schwestern für immer?«
»Schwestern für immer.«
Ihr Lächeln war nur ein schwacher Schatten, aber es war zumindest ein Anfang.
In der Bibliothek der Londoner Loge warf Cameron die ›Times‹ auf den Tisch, an dem Rhys saß.
»Ein ziemlicher Wahnsinn, in York«, kommentierte er ungewöhnlich ernst.
Rhys schaute von dem Buch auf, in dem er blätterte, und warf ihm einen schiefen Blick zu.
»Was willst du in der Hinsicht unternehmen, Großmeister ?«
»Nichts. Die Familien kümmern sich schon darum.«
Cameron runzelte die Stirn. »Was hast du vor, Rhys? Ich hätte nicht gedacht,
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