Silver - Erbe der Nacht (German Edition)
konnte.
Es ist nicht wahr. Niemand kann uns verbieten, zusammen zu sein .
Die gegenseitige Nähe benebelte sie. Winter erwiderte den Kuss und gab sich der Illusion hin.
Dann näherte sich die Stimme des Arztes erneut, hallte im Korridor wider. Er sprach mit jemandem.
»Samstag um zehn, am Bahnhof«, flüsterte Rhys, bevor er sie losließ. »Überleg dir eine Ausrede.«
Er drückte ihr rasch einen federleichten Kuss auf den Mund.
»Ich bitte dich …«
›Du hättest die Pflicht, ihn eigenhändig zu vernichten.‹
Winter nickte, in dem Wissen, dass sie einen Fehler machte. Und sie wusste, dass sie trotzdem hingehen würde.
Als der Arzt ins Zimmer trat, ging Rhys ungezwungen hinaus.
Sein hinter der Hand verborgenes Lächeln verflog jedoch augenblicklich, als er auf Gareth Chiplin traf, der im Korridor wartete.
»Hast du immer noch nicht kapiert, dass du sie in Ruhe lassen sollst?«, fragte der Junge mit harter Stimme.
Er war besorgt und gab sich keine Mühe, es zu verbergen.
Rhys zwang sich, freundlich zu sein. »Jemand musste sie schließlich ins Krankenzimmer bringen.«
Gareth presste die Kiefer zusammen, denn wieder einmal war ihm der Nox zuvorgekommen. Sein Blick heftete sich auf die Tür des Krankenzimmers, als könnte er durch sie hindurchsehen.
»Sie ist nicht wie du, Llewelyn.«
Er versuchte, diese Worte wie eine Selbstverständlichkeit klingen zu lassen, und legte seine ganze Sicherheit in den Tonfall.
»Mag sein«, erwiderte Rhys ohne Überzeugung, »doch bilde dir nicht ein, sie sei menschlich. Je früher du das akzeptierst, desto eher kannst du ihr wirklich helfen.«
Gareths Gesichtsausdruck wurde noch finsterer. Es war tatsächlich ein Problem für ihn, die Kraft aufzubringen, um die Wirklichkeit anzunehmen.
Rhys entfernte sich ohne weitere Worte.
›Bilde dir nicht ein, sie sei menschlich …‹
Bevor sie das Krankenzimmer verließ, seufzte Winter tief auf.
Seit Monaten wusste sie, dass es so war, und doch war sie noch immer nicht bereit, es zu akzeptieren.
D as Rollgitter der Werkstatt wurde ratternd heruntergelassen. Der Besitzer hantierte mit den Schlössern und der Junge neben ihm schaute auf die Uhr: 22:30 Uhr.
Verdammt, es ist schon spät …
Ungeachtet des schwarzen Schmierfetts an den Händen fuhr er sich durch das rötliche Haar.
Er hatte den ganzen Nachmittag gearbeitet, und es war eine große Befriedigung gewesen, den Motor des alten Bentley endlich aufheulen und schnurren zu hören. Doch seine Pläne für den Abend waren damit geplatzt.
»Wir haben gute Arbeit geleistet, Miles«, meinte der Mann mit einem zufriedenen Lächeln. Er war müde, doch seine kleinen blauen Augen leuchteten. »Wir bringen dieses Schmuckstück wieder zum Strahlen …«
Miles erwiderte das Lächeln. Der Bentley war ein Modell aus den frühen Achtzigern. Er gehörte nicht zu seinen bevorzugten Automarken, doch er sagte nichts, denn er wusste, dass sein Onkel diese alten Modelle liebte.
»Kommst du mit auf ein Bier, Hank?«
Der Mann wägte ab. Er war kurz versucht, das Angebot anzunehmen. »Ruf deine Freunde an und trinkt auf mein Wohl. Deine Tante wartet schon seit drei Stunden zu Hause auf mich.«
Miles schlug ihm mit der Hand auf die Schulter. »Bis morgen, Alter.«
Sie trennten sich, und jeder ging seines Wegs: Hank betrat gleich um die Ecke den Hauseingang, und Miles wandte sich in die entgegengesetzte Richtung.
Er wollte zu seiner Freundin. Seit er einen Job hatte, sahen sie sich fast nicht mehr, und er war es müde, sich immer anhören zu müssen, dass er seine Zeit lieber mit den Rostlauben verbringe.
Seine Freundin wohnte etwas außerhalb des Städtchens, was bedeutete, dass ihm ein stiller Spaziergang über die Felder bevorstand, zwanzig Minuten zu Fuß bei zügigem Schritt. Miles nahm eine Abkürzung durch eine Nebenstraße, die zu asphaltieren sich niemand je die Mühe gemacht hatte, und ignorierte das Schild mit dem T-förmigen Symbol, das anzeigte, dass es sich um eine Sackgasse handelte. Mit einem Sprung überwand er die Durchgangsverbotsschranke, wie er es seit Jahren tat, und stapfte mitten durch das Grasland.
Winter hatte keine Ahnung, warum sie sich plötzlich in einer unbekannten Kleinstadt neben Miles befand.
Er konnte sie nicht sehen, sie jedoch wandte die Augen nicht von ihm ab.
Miles war nicht attraktiv: Er war bullig, trug einen abgenutzten Overall voller Flecken, und sein Aussehen ließ auf einen langen Arbeitstag schließen.
Aber er lebte.
Und das machte
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