Silver Linings (German Edition)
mein Vater hat schwarz anbrennen lassen, scheuere ich gut fünfzehn Minuten mit Stahlwolle. Und dann sauge ich das Wohnzimmer. Dad hat Tomatensoße von der Pizza auf die Couch gekleckert, also hole ich Reinigungsspray aus dem Dielenschrank und tue mein Bestes, um den Fleck rauszukriegen – betupfe ihn leicht und reibe dann fester mit kreisenden Bewegungen, genau wie es auf der Flasche steht. Als meine Mom nach Hause kommt, knie ich noch immer vor der Couch und scheuere.
«Hat dein Vater dir gesagt, du sollst hinter ihm herputzen?», fragt Mom.
«Nein», sage ich.
«Hat er dir von dem Brief erzählt, den ich ihm geschrieben habe?»
«Nein – aber ich hab ihn gefunden.»
«Gut, dann weißt du Bescheid. Ich will nicht, dass du hier putzt, Pat. Wir werden das Haus vergammeln lassen, bis dein Vater Einsicht zeigt.»
Ich möchte ihr erzählen, dass ich die PAT-Kiste auf dem Speicher gefunden habe, wie hungrig ich heute war, dass ich wirklich nicht in einem schmutzigen Haus leben möchte und dass ich einen Schritt nach dem anderen machen muss – zunächst und vor allem die Auszeit beenden –, aber Mom sieht richtig entschlossen aus und beinahe stolz. Also willige ich ein, ihr dabei zu helfen, das Haus verdrecken zu lassen. Sie sagt, wir würden Essen bestellen, und wenn mein Vater nicht zu Hause ist, wird alles so sein wie vor dem Brief, aber wenn mein Vater zu Hause ist, werden wir schlampig sein. Ich biete Mom an, dass sie in meinem Bett schlafen kann, solange sie streikt, weil ich sowieso auf dem Speicher schlafen möchte. Als sie sagt, sie wird auf der Couch schlafen, bestehe ich darauf, dass sie mein Bett nimmt, und sie dankt mir dafür.
«Mom?», sage ich, als sie sich abwenden will.
Sie dreht sich wieder zu mir um.
«Hat Jake eine Freundin?», frage ich.
«Wie kommst du darauf?»
«Ich hab ihn heute angerufen, und da hat sich eine Frau gemeldet.»
«Vielleicht hat er ja tatsächlich eine Freundin», sagt sie, und dann geht sie aus dem Zimmer.
Die Gleichgültigkeit, die Mom gegenüber Jakes Liebesleben an den Tag legt, gibt mir das Gefühl, dass ich irgendwas vergessen habe. Falls Jake eine Freundin hätte, von der Mom nichts weiß, hätte sie mich mit Fragen bombardiert. Ihr mangelndes Interesse deutet darauf hin, dass Mom etwas vor mir geheim hält, vielleicht etwas noch Größeres als das, was ich in der PAT-Kiste gefunden habe. Offenbar will Mom mich schützen, denke ich, aber ich würde trotzdem gern wissen, wovor.
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Asian Invasion
Nach einem relativ kurzen Krafttraining und einer noch kürzeren – und schweigsamen – Joggingrunde mit Tiffany fahre ich mit der S-Bahn nach Philadelphia. Ich halte mich an Jakes Wegbeschreibung und gehe die Market Street Richtung Fluss hinunter, biege nach rechts auf die Second Street und folge der Straße bis zu seiner Adresse.
Überrascht sehe ich, dass Jake in einem Hochhaus mit Blick auf den Delaware River wohnt. Ich muss dem Portier meinen Namen nennen und ihm sagen, wen ich besuchen will. Er ist bloß ein alter Mann in einer komischen Kluft, der «Eagles vor!» sagt, als er mein Baskett-Shirt sieht, aber dass mein Bruder einen Portier hat, ist schon irgendwie beeindruckend, unabhängig von der Uniform des Mannes.
Im Fahrstuhl ist ein weiterer alter Mann mit einer anderen komischen Verkleidung – er hat sogar einen von diesen randlosen Affenhüten auf dem Kopf –, und dieser Mann bringt mich in den zehnten Stock, nachdem ich ihm den Namen meines Bruders genannt habe.
Die Fahrstuhltür öffnet sich, und ich gehe über dicken roten Teppichboden einen blauen Flur hinunter. Als ich bei Nummer 1021 ankomme, klopfe ich dreimal.
«Alles klar, Baskett?», sagt mein Bruder, als er die Tür öffnet. Er trägt sein Jerome-Brown-Gedächtnistrikot, weil heute wieder Spieltag ist. «Na los, komm rein.»
Sein Wohnzimmer hat ein riesiges Erkerfenster, und ich kann die Ben Franklin Bridge sehen, das Camden-Aquarium und winzige Boote, die auf dem Delaware treiben. Die Aussicht ist umwerfend. Ich bemerke sofort, dass mein Bruder einen Flachbildfernseher hat, ganz dünn, sodass er an der Wand hängt wie ein Bild, und noch größer als Dads Fernseher. Aber das Allerseltsamste ist, dass mein Bruder einen Stutzflügel im Wohnzimmer stehen hat.
«Was ist das denn?», frage ich.
«Pass auf», sagt Jake. Er setzt sich auf die Klavierbank, klappt den Deckel hoch und fängt dann tatsächlich an zu spielen. Zu meinem Erstaunen kann er den Schlachtruf
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