Silver Linings (German Edition)
die U-Bahn gegeben hat, weil ich schon fünf für die Zugkarte ausgegeben habe. Aber mein Bruder bestellt für uns alle und sagt, er lädt mich ein, was nett von ihm ist. Wir essen teure Schinkensandwiches mit irgend so einer sonnengetrockneten Tomatenpaste, und als ich fertig bin, frage ich Caitlin, ob die Feier schön war.
«Welche Feier?», sagt sie, und ich erwische sie dabei, wie sie auf die kleine weiße Narbe über meiner rechten Augenbraue schaut.
«Eure Hochzeitsfeier.»
«Ach so», sagt sie, und dann blickt sie meinen Bruder liebevoll an. «Ja, die war sehr schön. Die Trauung hat in der St. Patrick’s Cathedral in New York stattgefunden, und dann hatten wir einen kleinen Empfang im New York Palace.»
«Seit wann seid ihr verheiratet?»
Mein Bruder wirft seiner Frau einen Blick zu, der mir nicht entgeht.
«Schon länger», sagt sie, und das gibt mir das Gefühl, verrückt zu sein, weil alle Anwesenden wissen, dass ich mich an die letzten paar Jahre nicht erinnern kann – und weil sie eine Frau ist, weiß Caitlin ganz genau, wie lange sie schon mit Jake verheiratet ist. Offensichtlich versucht sie, mich zu schonen, indem sie sich vage ausdrückt. Ich fühle mich schrecklich dabei, obwohl mir klar ist, dass Caitlin es nur nett meint.
Mein Bruder bezahlt die Rechnung, und wir begleiten Caitlin noch zu Fuß bis zu ihrem Apartmenthaus. Jake küsst seine Frau auf der Straße vor dem Eingang, und seine Liebe zu ihr ist nicht zu übersehen. Doch dann küsst Caitlin mich mitten auf die Wange, und als ihr Gesicht dicht an meinem ist, sagt sie: «Ich bin froh, dass ich dich endlich kennengelernt hab, Pat. Ich hoffe, wir werden gute Freunde.» Ich nicke, weil ich nicht weiß, was ich sagen soll, und dann sagt Caitlin: «Zeig’s ihnen, Baker!»
«Baskett, nicht Baker, du Dummerchen», sagt Jake, und Caitlin wird rot, ehe sie sich erneut küssen.
Jake hält ein Taxi an und sagt zum Fahrer: «City Hall.»
Im Taxi sage ich meinem Bruder, dass ich kein Geld habe, um die Fahrt zu bezahlen, aber er sagt, dass ich nie irgendwas bezahlen muss, wenn ich mit ihm zusammen bin, und es ist nett von ihm, dass er das sagt, aber irgendwie gibt es mir doch ein komisches Gefühl.
Unter der City Hall kaufen wir U-Bahn-Tickets, gehen durch eine Drehsperre und warten dann auf die Orange Line nach Süden.
Obwohl es erst halb zwei ist und das Spiel erst in sieben Stunden anfängt, obwohl es ein Montag ist, ein Tag, an dem die meisten Leute arbeiten müssen, warten bereits etliche Männer in Eagles-Trikots auf dem Bahnsteig. Mir wird plötzlich bewusst, dass Jake heute nicht arbeitet – mir wird plötzlich bewusst, dass ich nicht mal weiß, was Jake arbeitet, und das macht mich schier wahnsinnig. Ich zermartere mir das Hirn, bis mir wieder einfällt, dass mein Bruder Betriebswirtschaft studiert hat, aber ich kann mich nicht erinnern, wo er arbeitet, also frage ich ihn.
«Ich bin Option Trader», sagt er.
«Was ist das?»
«Ich mache Börsengeschäfte.»
«Ach so», sage ich. «Und für wen?»
«Für mich selbst.»
«Wie meinst du das?»
«Ich bin selbständig und mache meine Geschäfte online.»
«Deshalb kannst du dir heute freinehmen und mit mir zum Football zu gehen.»
«Das ist das Beste am Selbständigsein.»
Ich bin sehr beeindruckt von Jakes Fähigkeit, sich selbst und seine Frau durch Börsengeschäfte zu ernähren, aber er hat keine Lust, über seine Arbeit zu sprechen. Er denkt, ich bin nicht clever genug, um zu verstehen, was er beruflich macht. Jake versucht nicht mal, mir seine Arbeit zu erklären.
«Und? Wie findest du Caitlin?», fragt er mich stattdessen.
Doch da kommt der Zug, und wir strömen mit der Herde Eagles-Fans an Bord, ehe ich antworten kann.
«Sie ist toll», sage ich, ohne meinen Bruder dabei anzusehen.
«Du bist sauer auf mich, weil ich dir nicht sofort von Caitlin erzählt habe.»
«Nein, bin ich nicht.» Ich möchte ihm erzählen, dass Tiffany mir folgt, wenn ich laufe; dass ich die PAT-Kiste gefunden habe; dass Mom noch immer im Streik ist und sich das schmutzige Geschirr in der Spüle stapelt und Dad seine weißen Hemden rosa verfärbt hat, als er die Wäsche gemacht hat; dass mein Therapeut Cliff meint, ich soll neutral bleiben und mich nicht in die Eheprobleme meiner Eltern einmischen, sondern mich nur auf die Verbesserung meiner psychischen Gesundheit konzentrieren – aber wie soll ich das machen, wenn Dad und Mom in getrennten Zimmern schlafen und Dad mir ständig sagt, ich
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