Silvermind (German Edition)
entlassen. Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte.
Fehler .
Dieses Wort spukte durch seinen Kopf. Immerzu. Schon den gesamten Tag. Fehler schienen ihn nicht nur zu verfolgen, nein, es war beinahe so, dass er dieses Wort personifizierte. Ray betrachtete die Wasserspuren. Sein Blick war verklärt, verschwommen konnte er die Straße durch das Glas erkennen. So war das Leben: undurchschaubar. Jetzt stand er vor einem Trümmerhaufen und wusste nicht, was er tun sollte.
„Ray?“
Die Stimme klang leise, zögerlich. Langsam wandte er den Kopf zur Seite und erblickte Lora, die zu ihm getreten war. „Was machst du so spät hier?“, fragte er und strich ihr durchs Haar.
„Ich kann nicht schlafen“, murmelte sie.
„Warum nicht?“
Sie zuckte mit den Schultern, lehnte sich an ihn. Ray legte die Arme um seine Schwester. Beruhigend rieb er ihr über den Rücken.
„Du wirkst traurig, Ray.“
Wieder schaute er aus dem Fenster. Für einen kurzen Moment schloss Ray die Augen. Das war er. Weil alles schief gelaufen war, was hätte schief laufen können. Zudem hatte er sich mit Dean zerstritten, was zusätzlich seine Nerven strapazierte.
„Es ist nichts“, wehrte er ab, weil er Lora davon nichts erzählen wollte. Er focht die Kämpfe still aus, seit jeher.
„Du hast mir nicht gesagt, wie dein Auftritt war.“
„Es gab keinen“, meinte er tonlos. Die Erinnerung an das Vorspielen nagte an seinem Inneren. Sein Nacken fing an zu kribbeln, Wärme breitete sich aus. Nero. Die sanften Striche seines Daumens konnte Ray spüren, wenn er es sich vorstellte. Konnte den Duft des Mannes riechen, der ihn auf der Bühne beinahe wahnsinnig gemacht hatte. Blödes Arschloch. Der Kerl hatte es geschafft, Ray in tiefem Selbstmitleid versinken zu lassen. Er fand sich selbst nicht gut. Doch so abgeschmettert zu werden, hatte definitiv an seinem Ego gekratzt. Aber er wollte es sich nicht anmerken lassen. Bedeutungslos. Ja, das war es.
Ray wusste, dass er sich selbst belog. Darin war er schon immer gut. Die Zurückweisung brannte. Er drückte Lora fester an sich, war froh, sie bei sich zu haben.
„Willst du drüber reden?“, fragte sie in die Stille hinein. Wie hätte er das tun können? Sie war zu jung für die Probleme, hatte genug hinter sich. Er war der große Bruder, der für sie da sein musste, sie beschützen. Nicht umgekehrt.
„Nein. Du solltest jetzt wieder schlafen gehen. Versuche es einfach, okay?“ Ray gab ihr einen Kuss auf die Wange, strich ihr ein letztes Mal durch die Haare. Mit mürrischem Gesichtsausdruck ging sie zurück in ihr Zimmer.
Er wandte sich vom Fenster ab, holte die Mappe mit den Songtexten vom Schreibtisch und setzte sich aufs Bett. Wenn man nicht sprechen konnte, waren aufgeschriebene Gedanken wie ein stiller Zuhörer. Für ihn war es notwendig, das festzuhalten, was er fühlte, was ihm durch den Kopf ging. Damit konnte er sein Innerstes ordnen, trotzdem er auf die meisten Fragen keine Antworten fand.
Ray blätterte durch alte Texte. Er überflog die Zeilen, wusste bei allen, wie sie zustande gekommen waren. Prägend war vor allem Schmerz. Diese Empfindung war Hauptbestandteil seines Lebens. Übermäßig stark. Schmerz verdrängte alles andere. Besonders die kleinen Momente voller Glück.
Ray seufzte. So wie die Welt momentan stand, konnte sie sich nicht weiterdrehen. Er griff nach seinem Handy, drehte es für einen Augenblick zwischen den Fingern. Es war an ihm, sich zu melden. Er hatte Dean gesagt, dass er das tun würde, wenn er bereit dazu war. Im Endeffekt hatte sein Kumpel eine Chance für ihn gewittert. Dankbar war Ray nicht. Letztlich hatte das mehr mit dem Ausgang zu tun, als mit Dean selbst. So fair musste er sein.
Er legte das Handy beiseite. Es hätte keinen Zweck, etwas zu schreiben oder seinen Kumpel anzurufen. Er musste raus. Momentan fiel ihm die Decke auf den Kopf. Er brauchte etwas, das ihn spüren ließ, dass er am Leben war. Ray fühlte sich innerlich tot. Ein Umstand, den er des Öfteren hatte, wenn er nicht wusste, wie es weitergehen sollte. Was fast täglich der Stand der Dinge war.
Er zog sich an und verließ die Wohnung. Lora würde nichts passieren, denn Roger war ausgeflogen. Einzig deswegen konnte er mit ruhigem Gewissen in die Nacht gehen.
***
„Lora hör auf, mit dem Essen zu spielen!“ Ray sah sie entnervt an. Dieses Mädel konnte verdammt anstrengend sein.
„Ich esse“, meinte sie schulterzuckend. Mit
Weitere Kostenlose Bücher