Silvy macht ihr Glück
Chauffeur bleiben?“
„Ja, solange Frau Allen mich behalten will.“
„Aber das hat doch keine Zukunft.“
„Nein, vielleicht nicht. Aber vorerst möchte ich noch ein, zwei oder auch drei Jahre meines kostbaren Lebens darauf verwenden. Es gefällt mir nämlich ausgezeichnet bei Frau Allen, verstehst du.“
„Ja, das verstehe ich. Sie ist eine sehr nette Dame, immer freundlich und aufgeschlossen, wenn man mit ihr zu tun hat, bestimmt, aber trotzdem umgänglich. Nie würde es ihr einfallen, wegen einer Kleinigkeit Krach zu schlagen. Und sie ist immer sehr höflich gegen das Hotelpersonal. Alle mögen sie gern.“
„Ich habe sie beinahe liebgewonnen. Nein, nicht beinahe, ich habe sie wirklich lieb.“
„Sie hat dich auch gern, kann ich mir denken.“
„Sie ist jedenfalls sehr gut zu mir.“
Jörn war offenbar die Gegend gut bekannt. Er vermied die große Hauptstraße mit dem riesigen Verkehr und allen Hotels. Das kleine Auto schlängelte sich auf schmalen und unbedeutenden Wegen weiter, und es duftete von den Äckern und Wiesen, wo Kühe und Schafe weideten. Sylvi hatte das Gefühl, daß sie endlich einmal aufatmen konnte, nachdem sie durch eine Reihe von Tagen immer in Hochspannung gewesen war.
„Ist es hier nicht schön, Sylvi?“
„Wunderbar, Jörn. Du ahnst nicht, wie ich es genieße.“
Dann hielten sie auf einem Hof vor einem langen, niedrigen weißgetünchten Haus.
„Ich bin schon früher hier gewesen und kenne die Bäuerin“, sagte Jörn. Er klopfte an eine niedrige Tür, und sie kamen in einen großen Raum mit weißgetünchten Wänden, steinernem Fußboden, einem großen weißgescheuerten Holztisch und einem mächtigen Schrank. In dem offenen Kamin war ein Herd angebracht. Die Fenster hatten kleine grünliche Scheiben aus buckligem Glas, und in der fernsten Ecke des Raumes stand ein großes Himmelbett.
„Ja“, sagte Jörn, als er Sylvis erstauntes Gesicht sah. „Das ist das einfache, volkstümliche Frankreich, verstehst du. In der Küche wohnt und lebt die Familie, das Ehepaar schläft hier, die Kinder spielen und machen ihre Schulaufgaben hier.“
Am Herd stand eine ältere Frau mit einer zierlichen Haube über grauem Haar.
„Ah, Monsieur Jörn, wie nett. Und in so charmanter Gesellschaft. Sie sind sicher auch aus Norwegen, Madame, Sie sind so groß und blond.“
„Madame Françoise, haben Sie heute viel Suppe gekocht? Wenn nicht, macht es auch nichts, wir haben einen Proviantkorb mit.“
„Aber was denken Sie denn, Monsieur Jörn? Natürlich habe ich genug Suppe, und frisch gebackenes Brot habe ich auch und Käse. Jetzt schlage ich vor, daß Sie in den Obstgarten gehen und sich pflücken, was Sie zum Nachtisch haben wollen. In einer halben Stunde wird das Essen auf dem Tisch stehen. Ich bin heute allein, Gerard ist zum Fischen gefahren, und ich bin entzückt, Gesellschaft zu haben.“
Sylvi wechselte ein paar Worte mit „Madame Françoise“, wie Jörn sie nannte, und dann gingen sie in den Obstgarten, wo die Aprikosen schwer und golden hingen und die Pfirsiche mit ihren weichen Kinderwangen lockten.
„Was für ein Obstgarten!“ sagte Sylvi. Sie war augenblicklich der Versuchung erlegen, etwas vom Nachtisch auf Vorschuß zu nehmen.
Jörn lachte. „Ja, und das Obst direkt vom Baum schmeckt wirklich am besten, nicht wahr? Meine Freundin Françoise liefert Obst an Belville, daher stammt unsere Bekanntschaft und unsere Liebe.“
„Wie komisch, daß sie mich Madame nannte. Sehe ich denn so würdig aus?“
„Nein, wenn du mit einem so gefährlichen Verführer wie mir auftrittst – nebenbei bemerkt sind nach französischer Auffassung alle Männer gefährliche Verführer –, da mußt du ja verheiratet sein, denn ein junges und unerfahrenes Mädchen würde von ihren Eltern oder Vorgesetzten doch nie die Erlaubnis erhalten, mit einem lebendigen Mann herumzustreifen.“
„Ach ja, natürlich.“
„Franzosen sind komisch, weißt du, jedenfalls nach norwegischer Auffassung. Für die gibt es zwei Sorten von Frauen: die leichtsinnigen, mit denen man sich amüsiert und mit denen man Abenteuer hat, und dann die braven Familientöchter mit Anstandsdame und Mitgift und unbeschadeter Tugend. Mit der einen Sorte amüsiert man sich, die andere heiratet man.“
„Das finde ich im Grunde unmoralisch.“
Jörn zuckte mit den Achseln.
„Tja, das finde ich auch. Aber die Franzosen würden wohl wieder uns für unmoralisch halten, die wir auf Hüttentouren und Badetouren und
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