Silvy macht ihr Glück
Gesicht.
Sylvi war kreuzunglücklich. Wütend war sie, wütend auf Jörn und auf sich selbst. Die Demütigung brannte in ihr. Aber trotzdem war das Gefühl der Hilflosigkeit noch stärker in ihr als der Zorn und die Demütigung. Sie fühlte sich schrecklich allein in diesem großen Haus, in dem es von Menschen wimmelte. Sie hatte niemand, mit dem sie reden konnte, niemand, dem sie ihr Herz ausschütten konnte. Sie versuchte krampfhaft, an Jean zu denken, aber merkwürdigerweise half ihr das nichts. Alles war schmerzhaft und peinlich und dumm und traurig. Schließlich weinte sich Sylvi in den Schlaf.
Beim Morgengrauen wurde sie durch das Telefon auf ihrem Nachttisch geweckt. Sie brauchte erst einige Sekunden, um sich zu sammeln.
Wer konnte sie jetzt anrufen?
Jörn, dachte sie im Halbschlaf. Sie war sich selbst nicht klar darüber, wie sehr sie wünschte, es möge Jörn sein, weil er nicht schlafen konnte und sie um Verzeihung bitten wollte. Dann nahm sie den Hörer. Es war nicht Jörn.
„Kind“, Frau Allens Stimme war beinahe nicht zu erkennen, so angestrengt und heiser klang sie, „es tut mir so leid, Sie wecken zu müssen. Aber ich bin so krank, könnten Sie nicht…“
„Ich komme augenblicklich, gnädige Frau.“
Sylvi schlüpfte in ihren Morgenrock. Sie hatte ihn voriges Jahr von ihrem Vater in Paris bekommen, und so sah er auch aus.
Sie fuhr mit den Füßen in die kleinen Seidenpantoffeln. Eine Minute darauf war sie bei Frau Allen.
„Sehr lieb von Ihnen, daß Sie gekommen sind.“
„Was haben Sie, Frau Allen?“ Sylvi beugte sich über sie.
„Eine Gallenkolik“, flüsterte Frau Allen. „Es war sicher die Gänseleber, die…“, sie brach ab. Schweiß perlte auf ihrer Stirn. Sie mußte erbrechen.
Sylvi half ihr ruhig und geschickt. Dann legte sich Frau Allen zurück, und Sylvi machte ihr einen warmen Umschlag. Wie gut, daß sie einen Arzt als Bruder hatte!
„Danke, Kind, danke, jetzt geht es besser.“
Sylvi blieb an der Seite des Bettes sitzen. Ab und zu stand sie auf, ging in das Badezimmer und machte neue Umschläge. Nach und nach kam wieder etwas Farbe in Frau Allens Wangen. Sie öffnete die Augen.
„So, Kind, jetzt ist es wohl für diesmal vorüber. Gehen Sie jetzt wieder auf Ihr Zimmer.“
„Ich möchte bei Ihnen bleiben, gnädige Frau.“
„Ja, aber jetzt werde ich sicher einschlafen.“
„Kann ich mich nicht auf die Couch im Salon legen, gnädige Frau, und die Tür offenlassen? Dann rufen Sie mich, wenn es Ihnen wieder schlechter geht.“
„Wie Sie wollen. Nehmen sie die Autodecke.“
Frau Allen schloß die Augen, müde und ermattet nach den schlimmen Schmerzen.
Sylvi fiel in einen leichten Halbschlaf. Einige Male wachte sie auf und schaute zu Frau Allen hinein. Aber diese lag still und mit geschlossenen Augen da. Erst gegen neun Uhr rührte sie sich.
„Liebes Kind, sind Sie noch immer da? Haben Sie wenigstens etwas geschlafen?“
„Gewiß. Das ist auch nicht so wichtig. Aber wie geht es Ihnen, gnädige Frau?“
„Wieder ganz gut, danke. Die Anfälle sind schlimm, wenn sie kommen, aber wenn sie vorbei sind, dann ist es eben vorbei. Ich werde am Vormittag liegenbleiben, aber zum Mittag aufstehen. Nun herzlichen Dank, liebes Kind. Gehen Sie jetzt auf Ihr Zimmer und schlafen Sie noch ein wenig. Und lassen Sie sich den Kaffee auf Ihr Zimmer bringen.“
Etwas müde und mit kleinen Augen hüllte sich Sylvi in ihren Morgenrock und ging hinaus. Im Korridor wäre sie beinahe mit einem morgenfrischen Herrn im Tennisdreß zusammengestoßen.
„Oh, là, là“, sagte der Herr leise und warf einen sehr anerkennenden Blick hinter Sylvi her.
„Nein, Onkel, was für eine Überraschung!“
Jean Garnier saß gerade beim Frühstück, als der Herr im Tennisdreß an seinen Tisch trat. „Also hier wohnst du, mein Junge. Warum nicht im Belville?“
„Tja“ sagte Jean, „irgendwo muß man ja wohnen, und hier ist es recht gut. Bist du zum Wochenende hier, Onkel?“
„Erraten. Ich habe vor, dich im Tennis glatt zu schlagen. Beeil dich nun mit deinem Kaffee, und hole deinen Schläger.“
In einer Spielpause begann Jean vorsichtig zu fragen: „Du, Onkel, du hast wohl nicht zufällig in deinem Hotel eine norwegische Dame getroffen, eine Madame Allen?“
„Jung und hübsch natürlich, sonst würdest du nicht danach fragen. Nein, ich bedaure. Die einzige junge und hübsche Dame, die ich gesehen habe, traf ich heute morgen in einem bezaubernden Neglige.“
„Onkel, schäme
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