Silvy macht ihr Glück
charmante Kavaliere zur Verfügung haben würde, sie, der unbedeutende Chauffeur? Zwei Kavaliere, von denen der eine noch anziehender und sympathischer war als der andere.
Aber wer war eigentlich der eine und wer der andere?
Sie hatte Herzklopfen gehabt an dem Tag, als sie Jörn von Ringerike nach Fornebu fuhr, ihr Herz hatte wie wild geklopft, als sie ihn in Belville wieder traf. Aber dann, ja, dann hatte die Gemeinschaft bei den Mahlzeiten einen einfachen, kameradschaftlichen Ton zwischen ihnen geschaffen. Jörn hatte es immer eilig, sie war praktisch nie mit ihm allein gewesen. Aber heute nachmittag sollte das nun der Fall sein.
Verschwitzt und warm kam Sylvi am Nachmittag auf ihr Zimmer. Sie warf die Chauffeurmütze auf das Bett. Dann blieb sie davor stehen und sah sie an. Ihr war plötzlich eingefallen, daß Jean ja noch nichts wußte von dieser Rolle, überhaupt von ihrem Leben. Jetzt müssen aber wirklich die richtigen Zusammenhänge erklärt werden, überlegte sie. Wie würde er lachen, wenn erhörte, daß die Chaperone ihre Arbeitgeberin war und daß sie das Autofahren als Beruf betrieb! Alles würde sie ihm erzählen: von ihrer Kindheit, dem schönen Heim, das sie gehabt hatte. Und sie würde von dem Unglück mit Vaters Geschäften berichten und warum sie sich dann eine Stellung suchen mußte.
Bisher war es lustig gewesen, eine kleine Komödie zu spielen. Aber seit gestern war Ernst in ihre Beziehungen gekommen, und nun hatte Jean das Recht auf die Wahrheit.
Doch heute war es also Jörn und nicht Jean. Sie rief an und verlangte den „Maître d’hôtel“.
„Bist du da?“ kam Jörns Stimme. „Das ist fein. Ich habe so sehr auf dich gewartet. Paß auf: Ich habe mir eine kleine Mühle von einem Auto ausgeliehen und einen Proviantkorb organisiert. Wann kannst du fertig sein?“
„In zehn Minuten.“
„Du bist ein Prachtmädchen. Die Mühle steht beim Rückeingang. Also beeile dich.“
Ja, gewiß, die Mühle stand beim Rückeingang. So war es eben, wenn die Dienerschaft Ausgang hatte. Gestern war es anders gewesen: Silberlame, Orchideen, Champagner. Und heute war es halt ein Bummel von der Hintertür aus.
„Ausnahmsweise brauchst du nicht selbst zu fahren“, lachte Jörn. „Das kann ich nämlich auch, verstehst du. Du siehst so hübsch aus, Sylvi, die Sonnenbräune steht dir gut.“
Sylvi lächelte. Jörn meinte natürlich genau dasselbe wie Jean, aber wieviel hübscher klang es doch auf französisch, und wieviel besser doch Jean seine Worte setzen konnte!
Jörn war so frei von Komplexen und so geradezu, daß es Sylvi beinahe irritierte. Wie in aller Welt konnte man ein so süßes, erwartungsvolles Prickeln in den Nerven fühlen, wenn der betreffende Partner so überaus prosaisch war!
„Jörn, erinnerst du dich daran, was du mir damals in Ringerike sagtest?“
„Ja, das tue ich. Besonders erinnere ich mich an alles, was du sagtest. Woran denkst du denn speziell?“
„Du meintest, es würde eine Beleidigung für mich sein, wenn du sagtest, daß ich gut fahren kann. Würdest du es auch als Beleidigung auffassen, wenn ich sagte, daß du gut fährst?“
Jörn lachte. „Aber nein! Es ist doch immer erfreulich, von einer Kapazität gelobt zu werden.“
„Du willst mich necken. Sag mir übrigens, wohin wir fahren.“
„Sehr weit kann es ja nicht sein, da wir bloß den Nachmittag und den Abend vor uns haben. Ich dachte daran, dich auf einen alten französischen Bauernhof mitzunehmen, in lauter Frieden und Ruhe. Hotels, Tanzmusik und Speisesäle habe ich jeden Tag bis zum Überdruß. Außerdem will ich mit dir plaudern, und das kann man ausgezeichnet im ländlichen Frieden.“
Ich will – ich dachte daran – ich habe jeden Tag. Es fiel Jörn nicht ein zu fragen, was sie gern wollte. So hätte Jean nie reden können, überlegte sie.
„Wirst du lange in Frankreich bleiben?“ fragte sie laut.
„Nein, ich habe mich bloß für die Sommersaison verpflichtet.“
„Im Grunde ist das eine sonderbare Arbeit.“
„Tja, wenn man sich erst einmal für das Hotelfach entschieden hat, muß man alle Stufen durchlaufen, weißt du. Voriges Jahr war ich gewöhnlicher Kellner, so ist dies ein Riesenfortschritt. Und denke an alle die Trinkgelder, die ich bekomme. Du weißt, die Gäste in Belville sind nicht gerade knauserig.“
„Und was willst du schließlich werden?“
„Wir werden sehen. Vielleicht bekomme ich mal ein eigenes Hotel, wenn ich alt und grau bin. Und du? Wirst du weiterhin
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