Silvy will die Erste sein
Note
schreiben, wenn ich diesen Schwur breche.“
Silvy wiederholte es, fügte
aber im gleichen Atemzug hinzu: „Aber was bedeutet das denn? Du kannst doch
nicht verlangen, daß ich plötzlich schlechte Arbeiten schreibe...“
„Natürlich nicht. Du hast mit
diesem Schwur den Fluch des Schicksals auf dich herabgezogen, falls du ihn
brichst. Dann kannst du dich bemühen, soviel du willst, du wirst einfach keine
guten Noten mehr bekommen.“
„Ach so“, sagte Silvy und hätte
beinahe erklärt: Wenn das alles ist! — Aber sie konnte diese Bemerkung
klugerweise gerade noch unterdrücken. „Jetzt aber raus mit der Sprache“, sagte
sie, „mach’s nicht so wahnsinnig feierlich!“
Olga zögerte noch, dann beugte
sie sich vor und flüsterte Silvy ins Ohr: „Sie haben die Aufgaben, die Künzel
bei der nächsten Mathearbeit stellen wird.“
„Was?!“ Silvy fuhr so heftig
hoch, daß sie der Freundin beinahe mit dem Kopf einen Kinnhaken versetzt hätte.
„Was sagst du da?“
„Genau das, was du wissen
wolltest.“
„Das ist nicht wahr! Das kann
einfach nicht wahr sein.“
Olga stand auf, ihr Gesicht war
sehr rot geworden, und es fiel ihr nicht schwer, die Gekränkte zu spielen. „Na
schön, wenn du mir nicht glaubst, ist der Fall hiermit erledigt.“ Sie wollte an
Silvy vorbei zur Tür.
„Ich bitte dich, sei doch nicht
sofort wieder beleidigt“, schrie Silvy und vertrat ihr den Weg. „Begreifst du
denn nicht, wie ungeheuerlich das ist, was du mir da erzählst?“
„Das habe ich ja schon die
ganze Zeit versucht, dir klarzumachen. Aber du verstehst nichts.“
„Woher haben sie die Aufgaben?“
„Ich weiß es nicht.“
„Dann haben sie dir bestimmt
einen Bären aufgebunden.“
„Aber nein, Silvy, ich habe es
doch selbst gesehen. Erinnerst du dich, wie Katrin vor ein paar Tagen in der
großen Pause zum Klo gelaufen ist? Nein, daran kannst du dich bestimmt nicht
erinnern, das wird dir gar nicht aufgefallen sein...“
„Doch, doch, ich weiß! Sie kam
mit irgendwelchen Papieren zurück!“
„Das waren die Aufgaben, Silvy!
Ich habe sie selbst gesehen! Es waren genau solche Kopien, wie Künzel uns immer
für die Arbeiten verteilt, und ,sechste Klasse’ stand drauf und das richtige
Datum. Ich würde es ja selber nicht glauben, wenn ich sie nicht mit eigenen
Augen gesehen hätte.“
Silvy ließ sich wieder in einen
Sessel plumpsen. „Und woher will Katrin sie haben?“
„Das habe ich nicht
rausbekommen. Du weißt doch, wie sie lügt. Sie behauptet, Künzel hätte sie ihr
selber gegeben. Aber das ist sicher nicht wahr. Ich nehme an, daß das
Konferenzzimmer zufällig offenstand und niemand drin war und daß sie
hineingeschlichen ist und sich die Papiere gegrapscht hat.“
„So eine Frechheit“, sagte
Silvy ganz erschüttert.
„Aber, wie gesagt, ich weiß es
nicht“, erklärte Olga, „sie behauptet steif und fest, der Künzel hätte sie ihr
in die Hand gedrückt und ihr zugeflüstert: Eine kleine Hilfe für dich und deine
Freundinnen! — Aber das glaube ich einfach nicht.“ Olga wandte Silvy den Rücken
zu und trat an das kleine Fenster, damit Silvy ihr Gesicht nicht sah, denn sie
konnte nur noch mit Mühe ernst bleiben. „Andererseits“, sagte sie, „ist dir
nicht auch schon aufgefallen, daß er... bestimmte Mädchen in der Klasse
vorzieht?“
„Ja. Das tut er. Unbedingt.“
„Also wäre es vielleicht doch
denkbar...“ Olga ließ den Satz unausgesprochen.
Silvy stand auf, sie war ganz
benommen und schüttelte den Kopf. „Jedenfalls danke ich dir, Olga.“
„Und... was willst du jetzt
tun?“
„Ich werde die Sache platzen
lassen.“
„Du hast Mut!“ sagte Olga
bewundernd.
„Ich werde zum Künzel gehen...
nein, besser noch zu Mohrchen oder zum Direx...“
„Fabelhaft. Aber mich darfst du
nicht hineinziehen, hörst du? Du hast es mir geschworen.“
„Ja, ja, natürlich nicht. Aber
verrate mir nur noch eines: wo hat Katrin die Aufgaben?“
„Weiß ich nicht genau. Aber
inzwischen hat sie sie abgetippt. Mit Durchschlägen. Ruth und Leonore haben
jede eine Kopie.“
„Dann brauchte man die drei
also nur einfach durchsuchen zu lassen?“
„Wenn du dir etwas davon
versprichst...“
Die beiden Mädchen sahen sich
an. Dann bückte Olga sich und schloß die Tür auf.
„Vielen Dank“, sagte Silvy,
„für alles.“
Olga zuckte die Achseln. „Man
tut, was man kann.“ Sie ging voraus zur Haustüre und ließ Silvy hinaus.
In ihrem Zimmer holte sie sich
ein Buch,
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